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LIBRARY

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Zeitschrift

Naturwissenschaften

Organ des naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen und Thüringen zu Halle a. S. unter Mitwirkung von Prof. Dr. Carl Mez, Geh.-Rat Prof. Dr. E. Schmidt und Prof. Dr. W. Zopf herausgegeben

von

Dr. G. Brandes

Privatdozent der Zoologie an der Universität und Direktor des Zoologischen Gartens zu Halle

78. Band 1905/06

(Fünfte Folge, Sechzehnter Band)

Mit 2 Tafeln und 38 Figuren im Texte

Stuttgart E. Schweizerbart’sche Verlagshandlung (E. Naegele) 1906

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Inhalt des 78. Bandes.

I. Original- Abhandlungen.

Amthor, R., Eiszeitreste bei Ballstädt nördlich von Gotha .

Luedecke, Prof. Dr. O., Karl Freiherr von Fritsch, Ehren- vorsitzender des naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen und Thüringen, * 11. November 1838, 7 9. Januar 1906. Nekrolog. Mit dem Bildnis des Verstorbenen (Tafel I)

Kersten, Rektor H., Der Streit um den Naturbegriff . A

Popp, Max, Alte md neue Analysen der Heilquellen des Stahl- bades Bibra (mit 3 Tabellen) .

Schäfer, H. F., Über die een des Röhnberges sowie ia Liasvorkommen am Kallenberg und im Flufsbett der Apfelstedt bei Wechmar in Thüringen . R

Scheffler, Hugo, Beiträge zur Kenntnis des eisen © von Linsen (mit 16 Figuren)

Schulz, Priv.-Doz. Dr. August, Suoken aber ie ienseme Flora und Pflanzendecke Deutschlands. I. Über das Vor- kommen von Carex ornithopoda Willd. und Carlina acaulisL. im Nord-Saale-Unterbezirke .

und Wüst, Ewald, Beiträge zur Kennmis der hm der Umgebung von Halle 2.8. I.

Schulze, Erwin, J. Camerarii symbolae ad Horn ara

Über einige Thal’sche Pflanzen

J.C. Beckman’s Flora von Anhalt (17 10), neu SE anna

Additamenta litteraria ad Leopoldi Loeske „Floram Bryo- phytorum Hercynicam“

Tietze, Dr. M., Entwicklung der os anlineljinenten ne rasen aan, Mit 22 Figuren im Text. . .

Wüst, Priv.-Doz. Dr. Ewald, Otto Goldfuls. Nachruf. Mit dan Bildnisse des Verstorbenen (Tafel II).

Über Helix (Vallonia) saxoniana Sterki . SEE

Ein fossilführender plistozäner Mergel im Weidatale zwischen Stedten und Schraplau .

Seite

425

10%

Wüst, Priv.-Doz. Dr. Ewald und Schulz, August, Beiträge zur Kenntnis der Flora der Umgebung von Halle a.S. II.

Zimmermann, Hans, Tierwelt am Strande der blauen Adria. Eine naturwissenschaftliche Skizze zur Erlangung einer Übersicht der Fauna von Rovigno (Istrien), sowie zur Einführung in die Sammeltechnik

II. Kleinere Mitteilungen.

Reste tertiärer Ablagerungen nördlich von Gotha (R. Amthor)

Nordkarolinische Bergwälder (E. Brunken) .

Einiges über Mimikry (F. Lorentz). :

Eine posthume Arbeit Alfred Nehrings über ale Scheiben Reste aus einem Schlote des Seveckenberges bei Quedlin- burg“ (Ew. Wüst) . ß

Physa acuta Drap. in unserem et (Dr. v sk)

Der Palsgang der Pferde (Stabsveterinär Bose) ö

Der Nachweis von Arsenik im menschlichen Körper (Prof. Ban Eh)

Nutzbarmachung des Stickstoffs der Luft (Dr. Gittel) .

Die Gewinnung des Chilesalpeters (Prof. Baumert) .

Über das Auge und das Sehen der Wirbeltiere (Dr. uns).

Beiträge zur Physica pauperum (Holtz) .

Das Bildungsgesetz des Elefantenstolszahnes (Prof. Cephardet

Die diluvialen Menschen Thüringens (Ew. Wüst).. E

Über die neueren Fortschritte in der Wettervorhersage .

Zur Biologie der Libellenlarven (Haupt) .

Kassiterit an der Rofstrappe (Erw. Schulze)

Coquimbit am Rammelsberge (Erw. Schulze) .

III. Literatur- Besprechungen.

Appelund La Cour, Die Physik auf Grund ihrer geschichtlichen Entwicklung : il

Appel und Löw, Knuth’s Blütenbiologie, TIL. Bern j

Barger, G., Aurora een Methode der Nolekulargewichte anne -

Baumhauer, Die neuere Enimeklune der Krystllographie

Börnstein, Leitfaden der Wetterkunde

Boettger-Schwalbe, Schoedler’s Buch der Natın

Br uhns, Krystallographie i

ürklen, Formelsammlung und Repetitorkin der Mathematik .

Olaussen, Pflanzenphysiologische Versuche in der Schule

Correns, Gregor ! Mendel’s Briefe an Carl Nägeli .

Colsmann’s deutsche Schulflora .

Dammann, Kurzes Repetitorium der orranischen Chemie

Seite

166

293

109 113 119

205 207 208 380 381 383 383 457 461 463 464 466 467 468

477 220

476 133 388 143 133 211 393 133 141 392

Dippel, Diatomeen der Rhein-Main Ebene ,

Falk, Die Sporenverbreitung bei den en und der biologische Wert’ der Basidie . ! !

Fischer, Pokorny’s Naturgeschichte des che N {

Forstbotanisches Merkbuch der Provinz Pommern und der Provinz Hessen-Nassau

Franz, Der Mond... .

Frech, Aus der aan der Erde

Frick, Physikalische Technik . 4 Ä

Fr Shlich, Melstechnik elektrischer neänss \

Geitler, Elektromagnetische Schwingungen . i

Grede und Stelz, Leitfaden der Pflanzenkunde für hahere Schulen . N 3

Haufsner, Darstellende Capmeke :

Henkler, Der Lehrplan für den Dee in ensokndle

Heusler, Chemische Technologie 5

Hirschfeld, Geschlechtsübergänge .

Hoernes, Paläontologie .

Jäger, Kinetische Gastheorie .

Jahrbuch der Naturwissenschaften 190051906 BEE

Kaiser und Naumann, Zur Kenntnis der Trias und des Diluviums im nordwestlichen Thüringen .

Knuth, Handbuch der Blütenbiologie, Band III, Deariberiet von Loew und Appel i SSH EHnL.

Kohlrauch, Lehrbuch der Balken. ee

Krass und Landois, Lehrbuch für den Unterricht in der Do beschreibung. 1. Zoologie . i

La Cour und Appel, Die Physik anf an In geschichtlichen Entwicklung

Landois und Krass, Leinbreh - den Der in der Narır beschreibung. 1. Zoologie .

Lassar-Cohn, Die Chemie im täglichen Denen

Lehmann, Friek’s physikalische Technik . }

v. en Abhandlungen und zur Be ichhe den Naturwissenschaften . .

Löw und Appel, Knuth’s Plilenmialosie MI. Band

Lunge, Technisch-Chemische Analyse . i

Mayer und Nowicki, Flüssige Luft

Mendel’s Briefe an Nägeli .

Moeller, Mikroskopie der N ahrunes- und. oe

Müller- Borllen, Lehrbuch der Physik . Ei

Naumann und Larsen, Zur Kenntnis der Trias Tail Be Diluviums im a hehen Thüringen .

Neesen, Die Physik in gemeinfafslicher Darstellung

Niemann, Grundrifs der Pflanzenanatomie auf hsiollsatnllen Grundlage ;

vI

Norrenberg, Geschichte des naturwissenschaftlichen Unterrichts an den höheren Schulen Deutschlands .

Nowicki und Mayer, Flüssige Luft &

Pabst, Die Spitzzehfährte von Tambach iu ee

.—_ Beiträge zur Kenntnis der Tierfährten in dem Rotliegenden Deutschlands

Pokornys Naturgeschichte das head

Rauter, Allgemeine chemische Technologie .

Remsen, Einleitung in das Studium der Chemie .

Remus, Das dynamologische Prinzip

Rinne, Praktische Gesteinskunde

Schlei allen t, Beiträge zur Methodik des een ame

Schloemäleh. Fünfstellige logarithmische und trigonometrische Tafeln HC] ET er

Schoedler, Das Buch ir Bısıcır 3. Teil, Astronomie und Physik

Scho enden. Die Abstammungslehre im Unterricht der Schule

Schütze, Die hehe und mineralogische Literatur des nörd- lichen Harzvorlandes :

Schwalbe-Boettger, Schoedler’s Buch n= ano.

Shaler, Elementarbuch der Geologie s :

anesh, Thomson’s Elektrizität und Materie

Stelz Ei Grede, Leitfaden der Pflanzenkunde = Rohere Schulen . , 2

Thom, Lehrbuch der oelosia er ers a

Dhomeen. Elektrizität und Materie i ß

Travers, erden mentale Untersuchung von ersten 3

Takko, Die Meeresprodukte

Voist, Denen der Pflanzenkunde für den Bench: an oneren Schulen . ;

Vonderlinn, Sehniksakenshrlenmian !

Wagner, Das ältere Diluvium im mittleren Saaletale

v. Wettstein, Leitfaden der Botanik . ER SE

Wiegers, De Flulsschotter aus der elek von en haldensleben

Wildermann, Jahrbuch in messen 19051906

Wüllner Röstschrikt zum 70. Geburtstag !

Ziegler, Die wahre Ursache der hellen Ticherahlune des Radiums . ne TREE Re 2 ME AR ER IR NE i

Seite

393 398 215

214 212 140 139 394 132 sg.

210 145 392

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78. Band (1905/06). 1. u, 2. Heft. 8. März. 1906.

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- Naturwissenschaften

Organ des naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen und Thüringen zu Halle a. S.

unter Mitwirkung von Prof. Dr. Carl Mez, Geh.-Rat Prof. Dr. E. Schmidt und Prof. Dr. W. Zopf herausgegeben ar von

Dr. G Brandes

Privatdozent der. Zoologie an der Universität und Direktor des zoologischen Gartens . zu Halle a. S, ;

Jährlich erscheint 1 Band zu 6 Heften

Preis des Bandes-12 Mark

Vereinsausgabe

Stuttgart ° ‚E. Sehweizerbart’sche Verlagshandlung (E. Naegele) 1906

LIBEEN! Inhalt.

I. Original- Abhandlungen. ; Kersten, Rektor H., Der Streit um den Naturbegriff . Schulz, Priv.-Doz. Dr. August, Studien über die ehr: Flora und Pflanzendecke Deutschlands. I. Über das Vorkommen von Carex ornithopoda Willd. u. Carlina acaulis L. im Nord-Saale-Unterbezirke. . Tietze, Dr. M., Entwicklung. der wasseraufnehmenden Brome- liaceen- Triehome. Mit 22-Figuren im Text.

IH. Kleinere Mitteilungen.

Reste tertiärer Ablagerungen nördlich von Gotha (R. Amthor) . en |

Nordkarolinische Bergwälder ®. Binnken).

Einiges über Mimikry (F. Lorentz). . . . . =.

IH. Literatur-Besprechungen .

Seite

127

Physiologische Bromeliaceen - Studien Il.

Die Entwickelung der wasseraufnehmenden Bromeliaceen - Trichome. Von Dr. M. Tietze. Mit 22 Figuren im Text.

Die wasseraufnehmenden Schuppenhaare der Dromeli- aceen wurden zuerst von SCHIMPER !) einer genaueren Unter- suchung unterworfen; er entdeckte, dals diese Gebilde tropf- bar flüssiges Wasser mit aulserordentlicher Geschwindigkeit aufzunehmen imstande sind, ohne dafs er auf die mechanische Erklärung dieses Vorgangs einging. SCHIMPER sagt, dafs die Zellen dieser Schuppenhaare zwar abgestorben seien, aber dauernd ein deutliches und offenes Lumen besäfsen, in welches auf nicht angegebene Weise das Wasser ein- ströme. Dabei werde die Luft im Innern dieser Zellen zuerst zu einer Blase reduziert, welche dann aufserordentlich rasch verschwinde.

Als nächster, welcher sich mit dieser Frage beschäftigte, gab KAMERLING?) im Anschluls an andere Untersuchungen, offenbar ohne die Verhältnisse selbst untersucht zu haben, (da er dies weder angibt, noch andere Kriterien für den Vorgang als die in SCHIMPERS Beschreibung gegebenen Details neu hinzubringt), der Meinung Ausdruck, dafs die von SCHIMPER beschriebenen Luftblasen in Wirklichkeit Vakuumblasen seien. Wie aus einer neuerdings erschienenen Abhandlung STEINBRINKS?) hervorgeht, hat dieser Autor die

!) A.F.W.Schimper, Bot. Mitteil. a. d. Tropen II (1888), p. 66 ff., auch reproduziert in Schimper, Pflanzengeogr. auf physiol. Grundlage (1898) p. 349.

2) Kamerling in Bot. Zentralbl. LXXII (1897) p. 53.

®) Steinbrink in Flora XCIV (1905) p. 465.

_Zeitschr. für Naturwiss. Bd. 78. 1905. 1

2 M. Tierze. [2]

gleiche Vermutung bezüglich der Bromeliaceen - Triehome früber schon !) ausgesprochen, nur drückt er sich am ange- führten Ort dadurch, dals er blofs von „Epiphyten“ spricht, nieht klar aus, und seine Zitate allein beweisen, dafs auch er die bromeliaceen meint. Er beruft sich gleichfalls nur auf die Scaimpersche Darstellung der Erscheinungen. Eine klare Analyse der Verhältnisse findet sich zuerst bei Mrz?) in einer ausführlichen Abhandlung. Dieser spricht zuerst aus, dals die Lumina der Bromeliaceen-Schuppenzellen überhaupt nieht offen sind, sondern erst im Augenblick der Be- netzung sich zeigen, um beim Austrocknen nachher wieder vollkommen zu verschwinden. Dagegen geben Unter- suchungen, welche HEDLUND>) bei Bromelia Karatas ange- stellt hat, kein Bild über seine Vorstellung, wie er sich die Aufnahme des Wassers in das Innere der Zellen denkt. In dem mir allein zugänglichen, ausführlichen Referat über seine Arbeit wird von offenen Schalen gesprochen, welche sich von oben mit Wasser füllen; ob das Wasser an der Aulfsenfläche bleibt und in welcher Weise es dann durch den Triehomstiel ins Innere der Pflanze eingeführt wird, oder ob es in die Lumina der Zellen aufgenommen wird, darüber fehlt jede klare Aussprache.

Über die Mechanik bei der ausgebildetsten Triehomform der Bromeliaceen, nämlich der 7illandsia-Schuppen, bestehen zwei Ansichten: Mez?) betrachtet sie als Pumpmechanismen, bei welchen infolge der Quellung eines besonders ausge- bildeten, mechanisch wirkenden „Deckels“ Vakuen ent- stehen, welehe dann unter dem Einflufs des Luftdrucks von aulsen mit Wasser gefüllt werden, während STEINBRINK >) trotz den im Innern der Zellen vorhandenen und die Kon- tinuität der Wassersäule unterbrechenden Vakuum- resp. Wasserdampf-Blasen die Wirkung des Organs so erklärt,

!) Steinbrink in Ber. d. deutsch. bot. Gesellschaft 20 (1902). 2) Mez, Physiologische Bromeliaceen-Studien I. in Jahrb. f. wissen- schaftl. Bot. XL (1904) p. 157—229.

3) Hedlund in Botaniska Notiser 1901 p. 217— 224, eit. nach 30t. Zentralbl. LXXXIX (1902) p. 149.

4, Mez,l.c. 5) Steinbrink in Flora XCIV (1905) p. 474.

[3] Entwickelung der wasseraufn. Bromeliaceen -Trichome, 3

dals eine Wassersäule an den Innenwänden der sich ent- faltenden Triehomzellen festhänge und infolge ihrer Kohäsion nieht zerreilse, sondern bei elastischer Entfaltung des Organs aulsen befindliches Wasser ins Innere ziehe.

Ohne diese Frage, welche abseits von dem von mir be- handelten Thema liegt, einer definitiven Entscheidung zuzu- führen, kann ich nur sagen, dals die von anderer Seite 1) gegen STEINBRINKS Anwendung der Kohäsionstheorie auf das Saftsteigen im Innern des Stammes vorgebrachten Ein- wände, dals nämlich die auch dort vorhandene Unter- breehung der kontinuierliehen Wassersäulen die Kohäsions- bewegung zu einer mindestens unwahrscheinlichen mache, bezüglich der Tillandsia-Triehome gleichfalls Geltung haben dürfte.

In der Arbeit von Mez wurde bereits auf Differenzen hingewiesen, welche zwischen dem Schuppenbau verschiedener Dromeliaceen-Gattungen bestehen.

An sich schon würde es nicht geringes Interesse bieten, vergleichend -morphologisch den Bau derartig interessanter Triehome in seinen Variationen durch einen ganzen Ver- wandschaftskreis hindurch zu verfolgen.

Bei der Familie der Bromeliaceae drängt sich aber noch eine, weitere Frage auf, welche noch hervorragenderes Interesse besitzt und welche sich auf die Phylogenie der Formenkreise dieser Familie, sowie auf die Frage der Ent- stehung epiphytischer Vegetation im allgemeinen bezieht.

Gleichfalls durch Mez?) war schon früher nachgewiesen worden, dafs mit Hilfe der Gestaltung der Eiknospen unter Berücksichtigung der biologischen Verhältnisse, welche bei der Ausstreuung der Samen bestehen, ein natürliches, d.h. phylogenetisches System der bromelaceen sich entwickeln lasse.

Dabei handelt es sich um die Anhänge des Ovulums, welche bei den Pitcairnieae zu häutigen Flugorganen werden und in ihrer definitiven Ausbildung bestimmt sind, die Samen, welche in aufspringenden Kapseln gereift werden,

Y) Strasburger, Noll, Schenk, Karsten, Lehrbuch d. Bot. (1904) p. 168.

2) Mez in D.C. Monogr. Phanerog. 1X (1896), p. XXXIX ff. 1*

4 M. TIETZE. [4]

dem Winde zu übergeben. Aus diesen Ovularanhängen lassen sich ohne weiteres auch die Flugorgane einer Anzahl von Tillandsieen-Gattungen ableiten, welehe im Gegensatz zu den Pitcairnieen nieht bestimmt sind die Samen irgend- wohin auf die Erde zu führen, sondern denselben ihren Platz an Baumästen zu geben. SCHIMPER!) hat auf die Bedeutung langer und schlaffer, schweifförmig angeordneter Haare für die Aussäung vieler Epiphytenformenkreise an Baumästen hingewiesen. Eines der schönsten Beispiele für derartig an- gepalste Samenverbreitung bieten, wie bereits SCHIMPER aus- geführt hat, die Trllandsieen unter den .Dromeliaceen. Mor- phologisch ist die Anlage der Verbreitungsorgane schon am Ovulum zu erkennen und in typischen Fällen (Catopsis Griseb., Vriesea Lindl. $ Alcantarea Morr.) mit den Anlagen der Pitcairnia-Flügel identisch.

Auch bei denjenigen Dromeliaceen, welche sich der Samenausstreuung durch Tiere?) angepalst haben und bei ihren beerenartigen Früchten der Flugorgane nicht mehr bedürfen, sind die Anlagen der Flugorgane am Ovulum noch vorhanden; sie stellen dann rudimentäre Organe vor.

Nach diesen Darstellungen erschien es unzweifelhaft, dafs die Pitcairnieen die phylogenetisch niedrigste, ursprüng- liehste Gruppe der bromeliaceen darstellen, dafs von ihnen sich die beiden andern Gruppen divergent ableiten. Dies ist um so wahrscheinlicher, als die Pitcairnieae sich morpho- logisch aufs nächste an die Navieae anschliefsen und diese ihrerseits nach Bau und Lagerung ihres Embryo den An- schluls der Bromeliaceae an die Kapataceae bilden®). Navieae ebenso wie Pitcairnieae enthalten ausschliefslich terrestrische Formen.

So zeigt die Betrachtung morphologischer Merkmale, dafs der an sich schon wahrscheinliche Schlufs, dafs bei den Dromeliaceen terrestrische Formen den Ausgang für die epiphytischen gebildet haben, direkt nachweisbar ist.

1) ee 120393 22:

?2) Ule in Berichten d. deutsch. Bot. Gesellsch. 18 (1900) p. 128.

») Engler, Die systematische Anordnung der monokotylen An- giospermen in Abh. Preufs. Akad. 1592, p. 37.

[5] Entwiekelung der wasseraufn. Bromeliaceen- Trichome. h)

Die Anpassung des Samens behufs Gewinnung epiphy- tischer Standorte ist ohne Zweifel als sekundär zu betrachten; die primäre Bedingung für die Möglichkeit, den Boden zu verlassen und im Kampf um Raum und Lieht in die Baum- kronen sich zu begeben, wurde bereits von SCHIMPER!) klar in der Ausbildung der wasseraufnehmenden Trichome ge- funden.

So sehien es von besonderem Interesse, zu untersuchen, wie sich die beiden, die Entwickelung der terrestrischen zu epiphyten Formen ermöglichenden morphologischen Merkmale: Ausbildung des Flugorgans am Ovulum einerseits, Aus- bildung der wasseraufnehmenden Schuppen andererseits gegenseitig verhalten. Die Untersuchung dieses Themas wurde mir von Herrn Prof. C. Mez als Aufgabe gestellt.

I. Morphologie der Bromeliaceen-Trichome.

Eine vergleichende morphologische Darstellung der Sehuppenausbildung bei allen Bromeliaceen hat zunächst hier ihren Platz zu finden.

Als Material für meine Untersuchungen diente mir in erster Linie die reichhaltige Bromeliaceen-Sammlung, welche sich im Besitz von Herrn Prof. C. Mez befindet. In wenigen Fällen war eine Ergänzung dieses Materials notwendig; ich verdanke einzelne Spezies der Güte der Herrn Direktoren der Herbarien zu Berlin und München, welehen ich auch an dieser Stelle meinen ergebensten Dank für die Über- lassung der Materialien ausspreche.

Die Flächenansichten der Sehuppen wurden im allge- meinen an Schabepräparaten gewonnen; wo diese nicht aus- reichten, wurden Flächenschnitte zur Betrachtung heran- gezogen. Für die Untersuchung der Querschnittsbilder wurden Blattquerschnitte der betreffenden Spezies hergestellt.

a. Die Triehome der einzelnen Gruppen und Gattungen. Tiltandsieae. Die Verhältnisse bei den Tillandsieae sind von denen der beiden andern grossen Gruppen wesentlich verschieden.

3) SCHINPER, l. e. p. 8SI—83.

6 M.. TıETZE, i [6]

Abgesehen von wenigen, ganz vereinzelten Fällen, auf die weiter unten eingegangen werden muls, finden sich hier durehgängig gleiche oder doch wenigstens nur unbedeutend von den von Ms&z!) beschriebenen Schuppenformen der Gattung Tillandsia abweichende Verhältnisse. So zeigt sich überall das im Gegensatz zu den andern Gruppen meist eine geschlossene Schuppe darstellende Trichom deutlich in Scheibe und Flügel gegliedert).

Tillandsia L.

Die Gattung Tillandsia, welche bezüglich der morpho- logischen und physiologischen Eigenschaften ihrer Schuppen am genauesten untersucht worden ist, soll schon aus diesem Grunde hier an erster Stelle behandelt werden. Aulserdem gebührt ihr dieser Platz wohl auch deshalb, weil die eigen- artigen Befunde an dieser Gattung den Ansto[s zur Unter- suchung der ganzen Familie gegeben haben.

Die Morphologie des Tillandsia-Triehoms findet sich bei MEz?°) folgenderweise dargestellt:

„Von oben gesehen nehmen vier durch rechtwinklig sich schneidende Wände ge- trennte Zellen die Mitte des Triehoms ein; diese Zellen bilden das zentrale Schild und sind stets, wenigstens nach aulsen hin, stark verdickt. Im folgenden sei dies Schild die Scheibe des Trichoms ge- Fig. 1. Tillandsia aloifolia Hook. nannt. Bei der übergrossen

Mehrzahl der Arten sehliefsen sieh dann 64 Zellen

des ringsum laufenden Flügels der Schuppenhaare

an. Die dureh sukzessive Zweiteilung entstehenden

Zahlenverhältnisse bei diesen Triehomen sind durch-

aus konstant und regelmälsig.* (Fig. 1).

ı) Mez, Physiologische Bromeliaceen - Studien I in Jahrbüch. f: wissensch. Bot. XL (1904) p. 160.

2) Die Bezeichnungen Flügel und Scheibe habe ich in meiner ganzen Arbeit in dem ihnen von M ez an der zitierten Stelle beigelegten Sinne gebraucht.

8) Mez, 1. c. ibid.

[7] Entwickelung der wasseraufn. Bromeliaceen-Trichome. 7

Von Ausnahmen von dieser Zellteilungsformel 4-8-16- 64 führt Mez folgende an: Zunächst die Vermehrung der Zellenzahl dadurch, dafs bei verschiedenen Arten der Unter- gattung Platystachys zwischen die 16. und 64. Zellen die Übergangsreihe von 32. Zellen sich einschiebt. Diese 32. Reihe war gelegentlich nur unvollkommen ausgebildet, so bei Tillandsia vestita Ch. et Schdl. und T. myosurus Griseb., fast vollständig dagegen bei 7. streptophylla Seheidw. und T. prwinosa Sw. Im Anschluss hieran wirft Mez die Frage auf, ob diese Veränderung des Typus eine Fortbildung oder eine Rückbildung des Typus darstelle, und entscheidet sich für das erstere. Bei T. iriglochinoides Presl, deren Aufbau durch die Formel 4-8-64 wiedergegeben wird, sieht Mez in der durch Wegfall der 16. Reihe sich er- gebenden Einfachheit eine tiefere Stufe der Entwicklung.

Vriesea L.

Bei dieser Gattung der Tillandsieae findet man die Richtigkeit des von Mrz als Hypothese aufgestellten Satzes, dals die Einschaltung des 32. Kranzes eine Weiter- bildung der ursprünglichen Schuppenform, das Fehlen des 16. Kranzes dagegen eine niedrigere Stufe der Entwieklung bedeute, ziemlich sicher bewiesen. Trotz der Gröfse dieser Gattung konnten nur zwei Spezies, die durch intensiven Xerophytismus und extrem atmosphärisches Leben aus- ‚gezeichnet sind und sich dadurch biologisch Tillandsia voll- kommen anschliessen, Vriesea _oligantha Mez und Vr. Platzmanni Ed. Morr. gefunden werden, die die Form 4-8-16-64 aufweisen. Auch war hier der 64. Kranz nie ganz rein, sondern meist mit Elementen der 32. Teilung gemischt.

Bei allen andern Spezies fehlt der 16. Kranz. Die dann sich ergebende Form 4-8-64 findet sich bei folgenden Arten: Vr. macrostachya Mez, Vr. Morreni Mez, Vr. recurvata Gaudich., Vr. sangwinolenta Cogn. et March., Vr. tucumanensis Mez, Vr. triligulata Mez und Vr. pardalina Mez.

Eine weit gröfsere Anzahl weist eine Reduktion in der Form derart auf, dafs an Stelle der 64. Reihe eine Reihe

8 M. TiETzE, [8] von nur 82 Zellen getreten ist, so bei Fr. ventricosa Mez, Vr. panniculata Mez, Vr. sceptrum Mez, Vr. paraibica W awra, Vr. Philippo-Coburgi Wawra, Vr. procera var. typica Mez, Vr. psittacina Läl., Vr. rostrum aquilae Mez, Vr. rubida Morr., Vr. scalaris Morr., Vr. tessellata Morr., Vr. unilateralis Mez und Vr. splendens Lem.

Dals hier eine Reduktion vorliegt, trotz des 32. Kranzes, läfst sich mit Gewilsheit erklären. Es ist ausgeschlossen, dals diese Formen aus den höchst entwickelten mit dem Aufbau 4-8-16-32-64 unter Wegfall der beiden Ringe (16 und 64) entstanden sind, zumal, da eine ganze Reihe von Arten schon angeführt sind, die dureh Reduktion aus der Form 4-8-16-64 entstanden sind und die Form 4-8-64 besitzen. Da nun aulser- dem eine ziemlich beträchtliche Anzahl von Spezies (Fr. poenulata Morr., Vr. Rodigasiana Morr., Vr. subsecunda Wittm., Vr. thyrsoidea Mez, Vr. Tweediana Mez, Vr. viminales Morr. Vr. Wawranea Ant., Vr. Mosenii Mez (Fig. 2), Vr. Mälleri Mez und Vr. platynema Gaudich.), derart auf- Fig. 2. Vriesea Mosenii gebaut waren, dals bei ihnen die 16.

Mez Flächenansicht. Reihe stets fehlte, dafs ferner in der 64. Reihe bald schwächere bald stärkere Abweichungen derart vorkamen, dafs an Stelle von je 4 Teilen nur 2 vorhanden waren, so mufls man auf Grund dieser Beobachtungen zu dem Schlufs kommen, dals diese letzte Gruppe den Übergang zwischen den beiden vorher angeführten bildet.

Als niedrigste Arten sind demgemäfs in Bezug auf Ausbildung der Triehome die oben namhaft gemachten Spezies der Form 4-8-32 zu bezeichnen. An diese schliessen sich dann in phylogenetischer Höherentwicklung mit stärker auftretendem epiphytischen Leben der Reihe nach die Arten mit den Formen 4-8-64, 4-8-16-64 und 4-8-16-32-64 an, wenn auch bei der letztgenannten Gruppe die Übergänge nicht überall aufzufinden waren.

Die meisten Spezies sind bezüglich der Konstitution ihrer Sehuppentrichome nach den angegebenen Zahlenver-

"an Pitcairnia-Triehome er-

[9] Entwickelung der wasseraufn, Bromeliaceen-Trichome. ) hältnissen vollkommen konstant, doch kommen wenn auch selten Ubergänge vor z.B. in der Weise, dals an die Stelle von 4 Zellen der 32. Gruppe zwei nicht geteilte, also einer zweiten 16. Reihe entsprechende Zellen vorhanden sind. Dals diese Vorkommnisse sich mit Leichtigkeit in die gegebenen Gruppen einfügen lassen, liegt auf der Hand.

Mit besonderem Bedacht wurden von mir diejenigen Formen, bei denen der 16. Kranz fehlt, als die niedriger stehenden, weil dem atmosphärischen Leben weniger an- gepalsten Formen bezeichnet. Der 16. Kranz des Trichoms gehört nämlich stets der wasseraufnehmenden Scheibe des Trichoms an, während die weiter nach aulsen liegenden zahlreichen Zellen Konstituenten des Triehomflügels dar- stellen. Je grölser die Zahl der bei den gesamten Tilland- sieen stets als Pumpzellen ausgebildeten Zellen der Scheibe ist, um so intensiver kann sich auch die Wasseraufnahme durch die Triehome und dementsprechend das atmosphärische Leben gestalten. Die Zellen des Flügels dagegen haben als nieht direkt der Wasseraufnahme, sondern nur der Wasser- zuleitung sowie dem Verdunstungsschutz dienend eine zwar immerhin bedeutende, aber keineswegs ausschlaggebende Funktion im atmosphärischen Leben epiphytischer brome- haceen.

Bei Vriesea Pastuchoffina Glaz. und Fr. modesta Mxz die fast regelmälsig die Form 4- 8-32 (selten mit 64 gemischt) aufweisen, finden sich in aller- dings sehrseltenen Ausnahme- fällen Trichome, (Fig. 3), die in ihrem ganzen Habitus eher

innen. Sie haben stets die Form, dafs ein Strahlenkranz von mehreren (einmal 10, ein- mal 32) Zellen mit freien Enden radial von einem Fig. 3. Vrisea modesta Mez.

Punkte ausging. Unter diesem Gebilde, das gleichmälsig dunkelbraun gefärbt war, lag durehscheinend eine noch dunkler gefärbte Zentralzelle.e Der Bau dieser Triehome,

10 M. TıETze, 1 0]

insbesondere die Abwesenheit einer Scheibe mit verdiektem Deckel, beweist, dals diese Formen sich an die niedriger stehenden der Pitcairnieen anschlielsen. Auf ihr Vorkommen, welches für die Resultate meiner Arbeit von gröfster Wiehtig- keit ist, wird weiter unten zurückgekommen werden.

Catopsis Griseb.

Behalten wir die im Vorstehenden angegebenen Ein- teilungsprinzipien bei, so steht Catopsis mit im ganzen ein- facher gebauten Schuppenhaaren auf gleicher Höhe des. Epiphytismus mit den niedrigsten Formen von Vriesea, denn die Mehrzahl der untersuchten Formen weist die Form 4-8-32 auf. Eine etwas höhere Stufe nehmen nur C. nitida Griseb. und ©. Oerstedtiana Mez mit der Teilung 4-8-32-64 ein, wobei sowohl die reinen hier dargestellten Zahlenverhältnisse, wie auch Übergänge durch unvollkommene Teilung in den Reihen vorkommen. Die höchste Stufe wird durch ©. Mosenit Mez, C. nutans Griseb., ©. Morreniana Mez und Ü. magnispatha Mez mit der fast regelmälsigen Teilung 4-8-16-32 bezeichnet.

Sodiroa Andre. In dieser Gattung konnte nur die Teilung 4-3-32 also eine relativ niedrigstehende Entwieklungsstufe ge- funden werden.

Guzmania R. et Pav.

Auch bei der Gattung Guzmania sind weniger entwickelte Triehome vorherrsehend. So zeigen @. multiflora Andre, G. mucronata Mez, G. lingulata Mez und G. gracılior Mez abgesehen von einigen seltenen Unregelmäfsigkeiten durch- weg die Teilung 4-8-32; dasselbe gilt auch für Gr. .Derte- roana Mez, doch sind bei dieser Spezies, wie weiter unten gezeigt, Abweichungen häufiger. Die nächst höhere Stufe mit der Teilung 4-8-64 findet sich bei @. calothyrsus Mez, (+. Lindeni Mez, @. minor Mez, @. straminea Mez und G. van Volxemi Andre.

Zwischen diesen beiden Stufen finden sich die mannig- fachsten Übergangsstadien, indem teils die 32-Teilung über-

[11] Entwickelung der wasseraufn. Bromeliaceen-Trichome. 11

wiegt und dazwischen im Aulsenkranz nur vereinzelte Spuren der 64 - Bildung auftreten, teils umgekehrt. Derartige Übergänge weisen auf: @. magna Mez, G. Morreniana Mez, G. Plumieri Mez, G. Roezlii Mez und @G. Zahmii Mez. Bei G. Harrisiana Mez kommen nebeneinander die Teilungen 4-8-32 und 4-8-64 gleich häufig vor. Bei @. Berteroana Mez und @. monostachya Rusby, die im allgemeinen sich eng an die vorhergebenden anschliefsen, findet sich aulserdem ziemlich häufig die Teilung 4-8-16-32 also eine wesent- lich höhere Entwieklungsstufe. Bei @. angustifolia Mez sind bei der allgemeinen Form 4-8-16 an der Stelle von vier Teilen der 16. Reihe sehr oft 5 Teile, also Andeutungen der

ig. 4. Fig. 5. Guzmania Osyana Mez. Guzmania Devansayna Mez.

32. Reihe vorhanden. Die vollendetste Ausbildung, welche mit der Bildung bei Tillandsia identisch ist, dargestellt dureh die Teilungsform 4-8-16-32-64 findet sich nur einmal, nämlich bei G. Osyana Mez (Fig. 4).

Neben diesen, auch bei andern Tillandsieen-Gattungen vorkommenden Formen finden sieh in der Gattung Guz- mania noch mannigfache Miss- und Rückbildungen. Eine sehr starke Reduktion erfährt die Ausbildung bei @. Devan- sayana Morr. (Fig. 5). Während in seltenen Ausnahmefällen sich um die Viererteilung einzelne Glieder oder noch seltener ausgebildete Reihen des 8. Kränzes herum legen, ist dieser allermeist gar nicht vorhanden, sodals die 32. des ziemlich breiten Flügels sich an die Vierer der gelblich gefärbten Scheibe direkt ansetzen. Im normalen Fall und bei der grofsen Übermasse der Triehomexemplare ist diese Viererteilung des Schildes eine durchaus normale; doch wurden auch seltene Ausnahmefälle bei dieser Spezies be-

12 M. TIETze, 12]

obachtet, wo nochmalige auf den Wänden der Viererteilung senkrecht stehende Zellteilungen vorkamen. In den meisten der beobachteten Fälle entstand dadurch eine 6-Teilung des Schilde. Aber auch diese Form erfährt noch eine Ver- änderung, indem nämlich neben der reinen 6-Teilung auch noch andere Teilungen (7”—10) auftreten, die sich alle auf dieselbe Grundteilung zurückführen lassen und ebenfalls in der Weise entstehen, dals die Wände sich senkrecht auf die ursprüngliche Viererteilung ansetzen; es entstehen da- durch Figuren, welche an die mauerförmig geteilten Sporen. vieler Ascomyceten erinnern. Auf dieser niediigsten Stufe der Entwicklung des Tillandsieen-Trichoms ergibt sich somit ein Bild, das von der ursprünglichen Regelmälsigkeit der Triehome fast gar nichts mehr erkennen lälst. Eine Zentral- gruppe von oft scheinbar unregelmälsiger Teilung umgeben von nur einem Kranze von 16—40 (meist 30—36) Zellen. Dazu kommt als wesentliches Merkmal noch der Umstand, dass bei @. Devansayana Morr. ein charakteristisches Kenn- zeichen der Tillandsieae fehlt, der sogenannte Deckel, der bestimmt ist das Pumpwerk in Gang zu setzen. Dieser Deekel, der bei keiner Gattung der Pitcairnieae und bro- miliene eine scheinbare Ausnahme wird später zu er- wähnen sein sonst vorkommt, im übrigen aber für sämt- liche Tillandsieae charakteristisch ist, fehlt in der Gattung Guzmania auch noch bei G. capituligera Mez. Zwar ist bei dieser Spezies die Viererteilung des Mittelschildes vorhanden, doch ist auch hier die 8. Reihe, die sonst überall den Deckel begleitet, ganz oder zum grölsten Teil ausgefallen.

Diesen vielgeteilten Zentralgruppen ist jedoch für phylo- genetische Fragen kein Gewicht beizulegen, sie wurden ganz vereinzelt auch in der Unterfamilie der Dromelieae ziemlich häufig in den Gattungen Nidularium Lemaire und Aregelia OÖ. Kuntze beobachtet, welche jedenfalls in direkter Ab- stammung mit Guzmania nichts zu tun haben.

Aulser den eben erwähnten Bildungen finden sich in einzelnen Ausnahmefällen noch andere Abweichungen, die wohl als Mifsbildungen zu bezeichnen sind und ihre Ent- stehung mechanischen äufseren Einflüssen verdanken: so z. B. bei G@. acorifolia Mez. Anders liegen die Verhältnisse

[13] Entwickelung der wasseraufn. Bromeliaceen-Trichome. 13

bei @. erythrolepis Mez und @. Fürstenbergiana Wittm. (Fig. 6.) Hier erseheint bei der allgemeinen Form 4-8-16-32-64 so- wohl die 8., wie die 16. Reihe verdoppelt, so dals in diesem Falle statt 5, 7 konzentrische Reihen vorkommen; aber der Scheibe gehören auch in diesem Fall nur die Vierer und die beiden Achter an, während die 16., selbst wenn sie ver- doppelt sind, flügelartigen Charakter haben.

Thecophyllum Andre. Bei der Gattung T’hecophyllum trifft man fast durch- sängig dieselben Formen an, wie bei Guzmania. Der ersten bei Guzmania gemachten Abteilung mit der Aufbauformel

Fig. 6. Guzmania Fürstenbergiana Wittm. Fig. 7. Thecophyllum Dussii Mez.

4-8-32 gehören Th. Dussiü Mez (Fig. 7) und Th. Sintenissiüt Mez an. Repräsentanten der zweiten Gruppe mit der Formel 4-8-64 sind Th. balanophorum Mez und Th. ororiense Mez. Die Übergangsform zwischen diesen beiden Gruppen, bei der entweder die 32- oder 64 -Teilung im Aufsenkranz vor- herrschte, fand sich nur bei Th. Urbanianum Mez. Einmal, bei Th. palustre Mez, fand sich ein Aufbau, wie er bei der Gattung Guzmamia nicht gefunden werden konnte, nämlich die durch Einschiebung der 16. Reihe entstandene typische Tillandsia-Form 4-8-16-64. Th. Mosquerae Mez entspricht wieder dem Befunde bei G. angustifolia Mez. Es treten auch hier bei der allgemeinen Form 4-3-16 an die Stelle von je 4 Gliedern der 16. Reihe bisweilen 8, also Andeutungen der 32. Reihe, auf. Eine weitere Übereinstimmung mit Guz- mania zeigt Th. Kränzlinianum Mez. Wie bei Guzm. capi- tuligera Mez fehlt auch hier die 8. Reihe ganz oder fast ganz.

2, Bromelieae Die Verhältnisse bei den Dromelieae sind von den Tillandsieae ganz wesentlich verschieden. Zunächst fällt auf,

14 | M. TIETZE, [14]

dafs mit verschwindend wenig Ausnahmen eine Gliederung des Triehoms in Scheibe und Flügel, wie sie bei den Tilland- sieen so typisch auftritt, nieht mit gleicher Schärfe vorhanden ist. Im allgemeinen ist zu sagen, dafs die Zellen der Triehome von oben betrachtet einen polygonalen Charakter haben, wobei insbesondere die äufseren mehr nach dem Rande zu gelegenen Zellen sich wenig von den inneren unterscheiden. Eine weitere Ausbildung in Bezug auf bessere Ausnützung des atmosphärischen Wassers ist allerdings dort nicht zu verkennen. wo die äulseren Zellreihen starke radiale Streckung aufweisen: ein Übergang zur Bildung einfach ge- bauter aber differenzierter Flügel macht sich mit steigender Anpassung an atmosphärisches Leben mehr und mehr geltend. Gemeinsam ist den allermeisten Formen, dafs die Zentral- zelle des Trichoms nieht von den Scheibenzellen überdeckt ist, sondern im gleichen Niveau mit den umliegenden Zellen sich befindet.

Faseicularia Mez.

Die Triehome der Gattung Fascicularia werden dar- gestellt durch eine Zentralzelle, welehe der Aufnahmezelle der Tillandsia-Triehome entspricht; um sie herum gruppieren sich eine Anzahl von kleineren dunklen rundlichen Zellen, deren Zahl verschieden ist (bei Fasc. parviflora Mez bis- weilen 4). Nach aulsenhin folgen längliche bandförmige Zellen zu einer meist einseitig entwickelten Schuppe ver- wachsen. Alle diese Zellen liegen in einem Niveau, ins- besondere liegen die Zellen der Zentralgruppe nieht höher als die andern.

Deinacanthon Mez.

Die Gattung Deinacanthon schliefst sich an Faseieularia eng an, uur fehlen hier die kleinen rundlichen Zentralzeilen,

sodals die bandförmigen Zellen unmittelbar an die Mittel- zelle ansetzen.

Bromelia L.

Bei Bromelia lassen sich morphologisch zwei gesonderte Gruppen unterscheiden. Zur ersten tieferstehenden gehören z. B. Br. fastuosa Ldl., Dr. Glaziovii Mez und Dr. scarlatina

[15] Entwiekelung der wasseraufu. Bromeliaceen-Trichome. 15

Morr. Diese Gruppe zeigt deutlich eine Zentralzelle, um die herum regellos teils längliche (Dr. scarlatina Morr.), teils rundliche Zellen (Dr. Glaziovii Mez) nach aufsen zu nieht von einer stärkeren Abgrenzung umschlossenen Schuppen vereinigt sind. Dr. fastuosa Ldl. zeigt beide Typen nebeneinander.

Ein besonderer Typus ist durch Br. agavifolia Brongn. vertreten; auch hier ist von einer Regelmässigkeit in der Anordnung der Zellen nichts zu bemerken, wohl aber sind die Schuppen deutlich nach aufsen abgeschlossen. Diese Schuppenform ist jedoch nicht kreisförmig, sondern die äulseren Zellen ragen hornartig über die Peripherie hinaus. Als eine allmähliche Reduktion . dieser Form mufs auch eine andere Fig. 8. Bromelia häufig bei derselben Spezies vorkum- “gavifola Brongn. ınende Bildung angesehen werden. Oft fehlt nämlich die scheibenförmige Umrandung der Zellen; an ihre Stelle treten Zellbänder, die strahlenförmig von einer undeutlichen Zentralzelle ausgehen. Diese Strahlen liegen ursprünglich sicher da als aus der oben beschriebenen Form entstanden anzusehen in einer Ebene, im weiteren Verlauf der Ent- wicklung richten sie sich jedoch auf, so dafs dann (Fig. 8) 4—10 fingerförmige kurze aufgerichtete Zellreihen entstehen, welche alle um die Mittelzelle herum angeheftet sind.

Die zweite Gruppe der Gattung Dromelia weist eine wesentliche Steigerung in der Entwicklung der Schuppen auf. An die Stelle der einen Zentralzelle tritt hier stets eine durch Form und Farbe deutlich gegen die Randzellen abgegrenzte Zentralgıuppe von nur wenigen Zellen. Um diese Zentralgruppe herum liegen teils rundliche, teils läng- liche, in Form und Anordnung vollkommen regellose, nicht in konzentrischen Kreisen angeordnete Zellen. Als Beispiele dieser Gruppe seien Dr. Balansae Mez, Br. Binoti Ed. Morr. und Dr. exigua Mez angeführt.

Greigia Regel. Die Gattung Greigia zeigt, soweit untersucht, eine grofse Einheitliehkeit der Formen. Überall findet sich eine Zentral-

16 M. TIETZE, [16] nn

zelle umgeben von regellos gelagerten, rundlichen (nur selten schwach radial gestreekten) Zellen, z.B. Gr. alborosea Mez. Bei Gr. sphacelata Rgl. sind die äulseren Zellen der Schuppen radial gestreckt, bei allen übrigen ziemlich regelmälsig polygonal.

Oryptanthus Klotzsch.

Auch bei Oryptanthus herrscht grolse Einheitlichkeit; dabei sind die Formen im wesentlichen dieselben, wie bei Greigia: eine Zentralzelle, dann rundliche Zellen. Auch hier gibt es nur wenige Formen mit radial gestreckten Zellen (Urypt. praetextus Morr. und Ur. Schwackeanus Mez).

Disteganthus Lemaire.

Disteganthus bietet in dem ganzen Aufbau seiner Schuppen kaum einen merklichen Unterschied von den beiden letzten Gattungen.

Aregelia 0. Kuntze und Nidularium Lemaire.

Bedeutend und ins Auge fallend werden die Unter- schiede, wenn wir uns zu den beiden nächsten Gattungen: Aregelia OÖ. K. und Nidularium Lem. wenden. Diese beiden Gattungen zeigen ihrerseits so grolse Übereinstimmungen untereinander, dals man sie füglich zusammen behandeln kann. Als erster Typus soll hier der beschrieben werden, der sich bei folgenden Arten vorfindet: Aregelia carcharodon Mez, A. chlorosticta Mez, A. compacta Mez, A. concentrica Mez, A. cruenta Mez, A. leucophoea Mez, A. Morreniana Mez, A. princeps Mez, A. sarmentosa Mez, A. spectabilis Mez, Nidularium Antoineanum Wawra, Nid. Ferdinando-Coburgt Wawra, N. longiflorum Ule, N. neglectum Morr., N. procerum Lindm., N. purpureum Beer und N. rutilans Morr. Bei diesen Arten finden wir stets eine dunkel gefärbte Zentral- sruppe von unbestimmter Zahl und unregelmälsig poly- gonaler Gestalt (doch sind es immer nur wenige nicht über 10 Zellen), dann folgen einige mehr oder weniger konzentrische Reihen rundlicher Zellen. Je weiter nach aulsen gelegen die Reihen sind, desto mehr radial gestreckt und desto heller werden di einzelnen Elemente. Nid.

[17] Entwickelung der wasseraufn. Bromeliaceen-Trichome. 17

Ferdinando -Coburge Wawra zeichnet sieh noch durch be- sonders starke Zellwände aus. |

Von diesen Arten nur wenig verschieden sind Ar. am- pullacea Mez, Ar. cyanea Mez und Ar. tristis Mez; bei diesen sind nur die Randzellen schwach radial gestreckt.

Ein gröfserer Unterschied zeigt sich bei der nächsten Gruppe, die durch die Spezies Ned. bracteatum Mez charak- terisiert sein möge. Im allgemeinen herrscht auch hier der typische Charakter der beiden Gattungen Zentralgruppe und geschlossene Schuppe vor. Eine Abweichung findet sich aber in der Teilung und dem ganzen Aufbau der Zentralgruppe. Während er bei den andern Arten ganz regel- los erfolgte, ist in dieser Gruppe bereits folgende Regel vor- handen: Fast regelmäfsig findet sich als Grundteilung eine Quadrantenteilung des Mittelschildes. Die einzelnen Qua- dranten sind dann durch Querwände, die alle von derselben .Hauptteilungswand im rechten Winkel abgehen, bisweilen noch einmal geteil. Diese sekundären Wände unter- scheiden sich von den Hauptteilungswänden dadurch, dals die ersteren wesentlich schwächer sind und dals ihr Vor- kommen nicht so gleichmälsig ist wie das der letzteren. Von der Gattung Aregelia gehört zu dieser Formengruppe nur A. carolinae Mez. Von Nidularıum gehören hierher aulser dem bereits erwähnten N. bracteatum Mez noch die Spezies N. fulgens Lem., N. Innocentii Lem., N. Paxianum Mez und N. Scheremetiewü Regel.

Oanistrum Morr.

Bei Canistrum Morr. findet sich meist nur ein Typus, der nach (©. amazonicum Mez beschrieben werden soll. Die Sehuppen sind stets deutlich nach aulsen abgeschlossen und glattrandig, sie bestehen aus radial gestreckten Zellen; nur die Mitte des Trichoms ist aus kleineren, mehr rundlichen oder polygonalen Zellen zusammengesetzt. Eine bestimmte Teilung des Zentrums findet sich bei diesem Typus nirgends, auch ist keine deutliche Gliederung in Scheibe und Flügel erkennbar. Von den untersuchten Arten gehören zu diesem Typus aulser ©. amazonicum Mez noch Ü. cyathiforme Mez,

Zeitschr. f, Naturwiss. Bd. 78. 1905, 9)

18 M. Tietze, [18]

O©. Lindeni Mez, C©. roseum Ed. Morr., ©. Schwackeanum Mez und ©. viride Ed. Morr.

Auch ©. superbum Mez schlielst sich in der Mehrzahl der aufgefundenen Triehome an die genannten Spezies an, daneben finden sieh jedoch wenn auch selten Formen, die mit denen von ©. aurantiacum Ed. Morr. identisch sind.

Bei der letztgenannten Spezies ist, rein morphologisch betrachtet, ebenfalls eine Differenzierung in Scheibe und Flügel vorhanden. In den meisteu Fällen sind die Scheiben- zellen anscheinend ganz regellos gelagert, bei genauerer Betrachtung läfst sich jedoch auch dann noch die Vierteilung des Mittelschildes, die in einigen Fällen (Fig. 9) vollkommen regelmäfsig durch- geführt ist, erkennen. Je regelloser der Auf- bau des Schildes ist, um so mehr sind die Flügelzellen verkürzt. Bei vollständiger Regel- mälsigkeit sind die Flügelzellen radial ge- streekt und ziemlich lang. Bei keiner der Formen dieser Spezies gelang es eine ge-

Fig. 9. Canistrum aurantiacum schlossene Umrandung festzustellen, vielmehr

E.Mom sind die Randzellen an ihren Enden stets

mehr oder weniger zerrissen. In allen Fällen liegt unter den schwach gefärbten Schildzellen eine deutlich dureh- scheinende, intensiv gelbbraun gefärbte, ziemlich grolse Kuppelzelle.

Andrea Mez.

Die Sehuppen dieser Gattung zeichnen sich durch die grolse Menge der sie zusammensetzenden, nicht in deutliche Reihen angeordneten Zellen aus. Urn die relativ kleine Zentralzelle herum sind die Zellen kleiner und dunkel ge- färbt, doch ist eine qualitative Unterscheidung in Flügel und Scheibe nicht vorhanden. Bezüglich des Randes fällt die Differenz auf, dals bei den auf der Blattscheide stehenden Schuppen die äulseren Zellen starke Abschlulswände nach aulsen haben, während die Umfassungswände der Trichome, welche von der Blattfläche stammen, sehr dünn und manch- mal kaum siehtbar sind.

[19] Entwickelung der wasscraufn. Bromeliaceen-Trichome. 19

Orthophytum Beer.

Bei der Gattung Orthophytum wurden nur bei der Spezies Orth. leprosum Mez (auf der Rückseite) genügend Triehome gefunden. Diese Trichome zeigten stets eine schwach ge- färbte Zentralzelle umgeben von vielen durchsichtigen läng- lichen Zellen.

Araeococcus Brongn.

Araeococcus besitzt stets eine dunkel gefärbte “über der Zentralzelle liegende Zentralgruppe. Bei Ar. parviflorus Ldm. (Fig. 10) besteht diese Zentralgruppe oft, aber keineswegs immer, aus vier in der für die Tillandsieen charakteristischen Weise ge- lagerten Zellen; doch sind dann meist noch einige (1 bis 4) benachbarte Zellen dureh dunkle Färbung aus- gezeichnet; daran schlielsen sich stetsnoch einigekleinere, Fig. 10. hellere Zellen, dann ziemlich a oe Darren. lang gestreckte schmale Zellen. Das Ganze findet seinen Abschluls durch eine deutlich markierte, ziemlich breite Um- fassungswand. Bei Ar. micranthus Brongn. wurden Triehome nur selten gefunden und dann immer nur in Bruchstücken. Stets ist auch hier die viergeteilte dunkle Zentralgruppe vorhanden; der äufsere Kranz war fast stets abgefallen. Wie aus den spärlichen Resten ersichtlich,- sind die äulseren Zellen heller und haben eine fein gekörnte Membran.

Hohenbergia Sehult. f.

Bei der Gattung Hohenbergia findet man stets rund- liche, meist in konzentrischen Kreisen angeordnete Zellen nur bei Hoh. augusta Mez sind die Zellen mehr radial gestreckt, doch ist auch bei dieser Spezies die Anordnung in konzentrische Kreise vorhanden —. Infolge dieser Eigen- schaft ist es ziemlich schwer zu entscheiden, ob bei den einzelnen Spezies die einzelnen Ringe sich um eine Zentral-

I*

20 M. Tıerzz, [20]

zelle herumlagern, oder ob die Mitte durch eine ein Ganzes bildende Zentralgruppe eingenommen wird. Der allgemeine Befund sprieht für das Vorhandensein einer Zentralgruppe, wenn auch bei zwei Spezies (Hoh. antillana Mez und Hoh. ferruginea Carr.) der Augenschein mehr für das Vorhanden- sein einer Zentralzelle spricht.

Wittmackia Mez.

Wittmackia lingulata Mez, die einzige Spezies dieser Gattung, von der genügend Material vorlag, zeigt denselben Typus, wie die Gattung Hohenbergia, doch können hier kaum Zweifel an dem Vorhandensein einer Zentralgruppe aufkommen.

Streptocalyx Beer.

Auch diese Gattung schlielst sieh in den Formen ihrer Schuppen ziemlich eng an die vorausgehenden an. Eine Zentralgruppe ist zweifellos überall vorhanden. Bei Strept. Fürstenbergüi Morr. zeigt diese deutlich als Scheibe von dem umgebenden Flügel unterschiedene Zentralgruppe bisweilen Viererteilung; der Flügel setzt sich stets aus vielen, nur wenig radial gestreckten, in konzentrischen Kreisen ange- ordneten Zellen zusammen. Ewas weiter ausgebildet erscheint die Schuppe schon bei Str. angustifolius Mez. Hier findet sich stets die Aufbauformel 4—-8—16 (doch niemals ganz streng durchgeführt), die weiteren Reihen legen sich dann unregelmälsig geteilt in konzentrischen Ringen herum; die äulsersten Enden sind nicht glatt kreisförmig abgeschnitten, sondern ragen hornartig über die Peripherie hinaus; unter der Viererteilung des Mittelschildes liegt stets deutlich erkennbar eine ziemlich grolse Kuppelzelle. Str. longifolius Bak. und Str. Vallerandi Morr. zeigen im wesentlichen den- selben Typus, doch ist bei der letzteren Art die Schuppe geschlossener.

Uhevalliera Gaudich.

Von der Gattung Ohevalliera konnte nur Oh. sphaero- cephala Gaudieh. untersucht werden. Auch hier sieht man deutlich die Differenziation in Scheibe und Flügel des Tri- ehoms. Die Scheibe besteht aus einer unbestimmten Anzahl

[21] Entwickelung der wasseraufn. Bromeliaceen-Trichome. 21

von kleinen rundlichen oder polygonalen Zellen; daran schlielsen sich die radial gestreckten Flügelzellen an, deren Anordnuug in konzentrische Kreise nicht überall klar ersieht- lieh ist.

Androlepis Brongn.

Auch Androlepis Skinneri Brongn. läfst den Unterschied von Scheibe und Flügel klar erkennen, doch besteht hier der Flügel aus sehr vielen ganz unregelmälsig angeordneten Zellen, die sich um die stets vierteilige Zentralgruppe herumlagern.

Acanthostachys Klotzsch.

Im Gegensatz zu diesen letzten Gattungen hat Acantho- stachys strobilacea Klotzsch stets nur eine Zentralzelle; daran schliefsen sich dann viele polygonale oder nur schwach radial gestreekte unregelmälsig liegende Zellen an. Nur die äulserste Zellage besteht ausnahmslos aus stark radial ge- streeckten Elementen. Die Schuppen sind nicht glattrandig, sondern die Enden der äulsersten Zellreihe sind frei, oft stark gekrümmt und ragen hornartig über die Peripherie hinaus.

Portea Brongn.

Bei der Gattung Portea läflst sich überall die durch eine dunklere Zentralgruppe dargestellte Scheibe des Triehoms von dem umgebenden deutlich gerandeten Flügel unter- scheiden, der aus radial gestreekten, nach aufsen allmählieh heller werdenden, konzentrisch gelagerten Zellen besteht. Bei P. Noettigii Mez und P. Petropolituna Mez setzt sich die Zentralgruppe fast regelmälsig aus vier Teilen zusammen. Bei P. kermesina Brongn. ist die Teilung der Zentralgruppe wechselnd und unregelmälsig.

Gravisia Mez.

Bei Gravisia können nach dem Aufbau der auch bier klar differenzierten Scheibe zwei verschiedene Typen fest- gestellt werden. Gravisia exsudans Mez zeigt eine dunkle unregelmälsig geteilte Zentralgruppe umgeben von unregel- mälsigen radial gestreckten und zum grölsten Teil ver-

2

168)

M. TIETZE, [22]

wachsenen Zellen; nur die Enden der Randzellen ragen hornartig über die Peripherie hervor. Gravisia aquilega Mez (Fig. 11) zeigt eine fast stets vierteilige Zentralgruppe (doch wurden auch 3, 5 und 6 Zellen gefunden) umgeben von kon- zentrischen Kreisen von polygonalen Zellen. Deutlich ist hier eine gewisse Regelmäfsigkeit in der Weise zu erkennen,

Fig. 11. Gravisia aquilega Mez.

dals die folgenden Kreise aus doppelt so viel Zellen be- stehen, wie die weiter nach innen gelegenen. So entstehen meist geschlossene Schuppen von dem Aufbau 4-8-16-32-64. Von dieser Art unterscheidet sich Gr. chrysocoma Mez nur dadurch, dafs die Zentralgruppe wesentlich dunkler und die Teilung nieht ganz so regelmäfsig ist.

Ananas Adans.

Ananas sativus Sehult. f. zeigt stark wechselnde Formen. Neben den Triehomen mit nur einer Zentralzelle und mehreren mehr oder weniger konzentrischen und regel- mälsig geteilten Kränzen von umgebenden Zellen, finden sich ebenso häufig andere, bei denen die Zentralzelle bald mehr, bald weniger von dem innersten Zellkranz verdeckt wird. Aulserdem kommen auch Formen vor, die die Zentral- zelle nur noch durchscheinend, also völlig überdeckt, er- kennen lassen. Alle diese Formen finden sieh dann auch. noch später bei Dyckia und einigen andern Gattungen und

; e . P 2 |23]l Entwickelung der wasseraufn, Bromeliaceen-Trichome. 25

sollen dort an der Hand von Figuren eingehender beschrieben werden.

Aechmea R. et Pav.

In der Gattung Aechmea lassen sich zunächst zwei srolse Gruppen unterscheiden, je nachdem eine deutliche Differenziation in Scheibe und Flügel vorhanden ist, oder die Schuppen aus Zellen bestehen, die alle von einer Zen- tralzelle ausgehend eine Unterscheidung in Scheibe und Flügel nieht zulassen.

Falls nur eine Zentralzelle vorhanden ist, finden wir stets eine aus rundlichen bis schwach radial gestreekten Zellen gebildete Schuppe, so bei: A. coelestis Ed. Morr., A. distichantha Lem. und A. Kuntzeana Mez.

A.pulchra Mez und A. candida Ed. Morr. sind in ihrer Zugehörigkeit zu einer der beiden grofsen Gruppen zweifel- haft, da bei diesen beiden Spezies nieht klar zu erkennen ist, ob sie Zentralzelle oder Zentralgruppe besitzen; in ihrem sonstigen Habitus entsprechen sie mehr der ersten Gruppe.

Die zweite grolse Abteilung besitzt als gemeinsames Kennzeichen stets eine deutlich differenzierte, auch durch Färbung mehr oder weniger vor dem Triehomflügel aus- gezeichnete Zentralgruppe. In dieser Abteilung lassen sich nach Form und Zahl der die Scheibe bildenden Zellen wieder vier Unterabteilungen unterscheiden.

In der ersten Unterabteilung besitzt die Zentralgruppe niemals eine bestimmte Anzahl von Zellen; sie besteht stets aus vielen kleinen, dunkel gefärbten, rund- lichen Elementen; die umgebenden Flügel- zellen sind teils rundlieh, wie bei A. Fried- richsthalii Mez et Donnell Smith, teils radial gestreckt, wie bei A. Guleottii Bak. und A. gamosepala Wittm. Eine besondere Eigen- Fig. 12. Aechmea tümlichkeit besitzen 4A. fulgens Brongn. filgens Brongn. (Fig. 12), A. ylomerata Mez und A. panniculigera Griseb. Bei diesen drei Arten besteht das Triechom aus der unregel- mälsigen dunkelen Zentralgruppe, umgeben von nur einem

24 M. Tierze, [24] Kranz radial gestreckter Zellen; die Schuppe ist glattrandig nach aulsen abgeschlossen.

Die zweite Unterabteilung zeigt stets weniger Zellen in der Zentralgruppe; oft tritt hier sehon bei einzelnen Triehomen die Vierzahl der die Scheibe bildenden Zellen auf. Hierzu gehören A. calyculata Bak., A. fasciata Bak., A. hystrix Bak. und A. Kienastü Ed. Morr.

Die dritte Unterabteilung hat stets die Vierteilung der Zentralgruppe. Als Typen dieser Gruppe können A. aureo- rosea Bak. und A. Legrelleana Bak. gelten. Aufserdem gehören nach meinen Untersuchungen noch 20 hier nicht anzuführende Spezies hierher.

Die vierte Unterabteilung umfalst die drei Spezies A. nudicaulis Griseb., A. Pittieri Mez und A. pubescens Bak. Bei A. nudicaulis Griseb. finden wir die Form 4-8-8-16-16; Die weiteren Reihen schlielsen sich dann in unregelmäflsigem Aufbau an. Bei A. Pittieri Mez haben wir folgenden Bau: 4-8-16 dann unregelmälsig weitergehend; die 8. und 16. Reihe sind nieht immer vollständig ausgebildet. Denselben Typus zeigt auch A. pubescens Bak. Diese drei Spezies zeigen aulserdem noch ein gemeinsames Merkmal, das bei andern Arten derselben Gattung nicht gefunden werden konnte, nämlich die durch das Mittelschild durehseheinende, stets ziemlich kräftig gefärbte Kuppelzelle. Bei A. Pittieri Mez und A. pubescens Bak., die in ihrem ganzen Aufbau nicht so regelmälsig sind wie A. nudicaulis Griseb., ist diese durchscheinende Kuppelzelle überhaupt die einzige, welehe auf dem Flächenbild durch besondere Färbung aus- gezeichnet ist.

Einer besonderen Erwähnung bedürfen aulserdem noch zwei Arten. Bei A. Fernandae Bak. ist die Vierteilung auch stets vorhanden, doch ist sonst die Gestaltung keine ein- heitliehe. Es finden sich Triehome, die von rundlichen Zellen ausgehend mit mehreren nieht konzentrischen Reihen von nach aulsen immer länger (bis bandförmig) werdenden Zellen umgeben sind. Die langen freien Enden geben dem Ganzen ein Aussehen, wie es viele Pitcairnia-Triehome haben. Von dieser Form finden sich nun aber die mannigfaltigsten Übergänge bis zur einfachen Schuppe rundlicher Zellen.

[25] Entwickelung der wasserautn. Bromeliaceen-Trichome. 25

Auch 4. pitcairmioides Mez (Fig. 13) zeigt wesentliche Verschiedenheiten von dem gewöhnliehen Habitus; zur Er- klärung mögen die beiden beigefügten Zeiehnungen dienen. Bei beiden Triehomen sieht man eine deutliche Gruppe von je vier Zellen; die erste Figur zeigt eine starke Regel- mälsigkeit in der Teilung, der Anordnung und den Gröfsen- verhältnissen der einzelnen Zentralzellen; auch die Rand-

Fig. 13a. Fig. 13b. Fig. 13. Aechmea pitcairnioides Mez.

zellen sind in ihrer ganzen Form ziemlich übereinstimmend. Dem ganzen Aufbau nach mufs man annehmen, dafs bei dieser Form an jeden Quadranten der Vierergruppe zwei Randzellen ansetzen, wenn auch in dem gezeichneten Exem- plar der eine Quadrant des Mittelschildes nur eine Flügel- zelle hervorgebracht hat. Bei der zweiten Figur ist die Regelmälsigkeit viel geringer. Durch einseitiges Wachstum zweier Zentralzellen ist die eine stark verkümmert worden; auch die Zahlenverhältnisse der Randzellen sind durch die dabei eingetretene Verschiebung beeintlulst worden, indem sich an den vergröfserten Rand des Mittelschildes zu den acht ursprünglichen Flügelzellen eine neunte gebildet hat.

(uesnehia Gaudich.

Die Gattung Quesnelia hat in der Mehrzahl der unter- suchten Spezies nur eine Zentralzelle, umgeben von helleren, rundliehen Zellen; so z. B. ©. arvensis Mez, @. indecora Mez, Q. lateralis Wawra und @. roseo-marginata Carr.

Einen etwas andern Typus zeigen @. blanda Mez und Q. humilis Mez. Bei diesen beiden ist eine klare Differen- ziation in Scheibe und Flügel nicht zu erkennen; der Grund

26 M. Tıerzz, [26]

dafür liegt in dem regellosen Aufbau aus nur schwach läng- lichen ungefärbten Zellen.

Von diesen Formen ganz wesentlich unterschieden ist Q. tillandsioides Mez. Dies ist die einzige Spezies, bei der aufserhalb der Tillandsieae das typische Tillandsieae-Triehom vorhanden ist. Alle aufgefundenen Triehome zeigten bei dieser Spezies den Aufbau 4-8-64. Aulserdem war bei allen der „Deckel“ mit seinen typischen Funktionen vorhanden; auch der „Flügel“ war als soleher aufs klarste ausgebildet.

Der Befund war äufserst befremdend. Er legte die Frage vor, ob tatsächlich eine derartige spezielle An- passung an das atmosphärische Leben, wie sie die Tilland- sieae besitzen, bis in ihre kleinsten Einzelheiten zweimal von verschiedenen Ausgangspunkten aus erworben werden konnte. Diese Frage betraf zugleich die grundlegende Frage, die mir zur Beantwortung übergeben war. Wenn nachgewiesener- malsen eine derartig spezialisierte Anpassung mehrmals er- worben werden konnte, so schwebten phylogenetische Be- trachtungen, welche sich an sie anschliefsen, in der Luft.

Dureh die Güte von Herrn Geheimrat URBAN wurde es mir ermöglicht, das Typ-Exemplar, welches im Berliner Museum liegt, zu untersuchen. Dabei ergab sich das unerwartete Resultat, dafs das Exemplar, welches von BAkKER als Bill- bergia tillandsioides, von MEz als Quesnelia tillandsioides beschrieben ist, sich als mixtum ecompositum und absichtliche wissenschaftliche Fälschung entpuppte.. Beim Auflösen der Rosette des in Flor. Brasil. Tafel 75 abgebildeten Exem- plars zeigte sich, dals der scheinbar den Abschlufs der Achse bildende Blütenstand gar nicht zu den Blättern gehörte, sondern hineingesteckt war: Wuesnelia tillandsioides ist dem entsprechend zu annullieren, sie besteht aus den Rosetten einer Vriesea aus der Verwandschaft von Vr. ventricosa Mez und dem Blütenstand einer .Dromeliea.

Billbergia Thunberg.

Bei der Gattung Billbergia lassen sich wieder zwei Hauptabteilungen unterscheiden, die erste zeigt keine klare Differenziation in Scheibe und Flügel des Trieboms, bei der zweiten ist eine derartige Differenziation vorhanden. Die

[27] Entwickelung der wasseraufu. Bromeliaceen-Trichome. 27

erste Hauptabteilung zerfällt wieder in zwei Unterabteilungen je nachdem das Triehom aus radial gestreckten oder aus rundliehen Zellen besteht. Zur ersten Gruppe gehören .ballb. elegans Mart., 5b. Reichardti Wawra und B. vittata Brongn. Als Beispiel der zweiten Gruppe möge BD. Eruphemiae Morr. angeführt sein; aulserdem gehören 12 weitere Spezies dazu. Zwischen beiden Typen finden sich Übergänge, die durch D.rosea Beer und 7 weitere Spezies repräsentiert werden.

Eine anders geartete Zentralgruppe findet sich nur bei DB. Tweediana Bak. und B. Moreli Brongn. Bei der ersten Spezies ist die Teilung der Zentralgruppe unbestimmt und ebenso sind es die Teilungszahlen der Randzellen, bei 5. Moreli Brongn. findet sich dagegen die Vierteilung der Zentralgruppe und auch die Zellen der übrigen Kränze zeigen klar ihre Entstehung durch Zwei- oder Vierteilung.

Rhodostachys Phil.

Die Gattung Rhodostachys zeigt im allgemeinen ziemlich tief stehende Formen. Meist sind um eine Zentralzelle herum längliche bis band- oder fadenförmige Zellen gruppiert, so bei Rh. Leiboldianus Mez und Rh. elegans Mez. Die einzige Ausnahme von dieser Form ist Rh. carneus Mez. Bei dieser Spezies ist die Zentralzelle noch von einigen rundlichen Zellen umgeben, und erst an diese schliefsen sich dann die radial gestreckten äulseren Zellen an.

3. Pitcairnieae.

Die Pitcairnieae, die auch nach Mez. die niedrigsten Gattungen der bromeliaceen aufweisen, lassen schon beim An- bliek ihrer stets primitiv gestalteten Triehomformen die Ur- sprünglichkeit dieser Gruppe erkennen. Keine der beiden andern grolsen Gruppen zeigt aulserdem in den Schuppen- formen ihrer einzelnen Gattungen so weitgehende Verschieden- heiten. Aber gerade diese durch mannigfache Übergänge miteinander und den Formen der andern Gruppen verbundenen verschiedenen Formen ermöglichen von einem Punkte diver- gent ausgehend die Ableitung der einzelnen Unterfamilien der ganzen Familie der Bromeliaceae.

28 M. TIETZE, [28]

Pitcairnia L’Herit.

Die Gattung Piteairnia mit ihren zahlreichen Arten zeigt die grölsten Verschiedenheiten im Aufbau ihrer Triehome. Am weitesten verbreitet sind die vollständig regellosen Schuppen, die mit ihren freien bandartigen Enden mitein- ander verfilzt sind und so einen dichten, grauweifslichen Überzug über das ganze Blatt oder wenigstens über eine Seite des Blattes bilden. Auch bei diesen Haaren ist stets die wasseraufnehmende Zentralzelle vorbanden. An diese Zentralzelle schliefsen sich dann längere Zellen an, die unter. Umständen Band- oder Fadenform erreiehen und nur zum

Fig. 14. Pitcairnia Selloa Bak.

kleinen Teil verwachsen sind. Als Typen dieser Form können Pitcairnia Schiedeana Bak. und Pitc. Selloa Bak. (Fig. 14) gelten; aufserdem gehören noch 23 Spezies hierher.

Einen Fortsehritt in der Entwieklung bedeuten offenbar die Formen der nächsten Gruppe. Bei diesen ist zwischen die äulseren langgestreckten Zellen und die Zentralzelle noch eine oder mehrere Reihen kleiner, rundlicher oder polygonaler Zellen eingeschaltet; aufserdem sind die äufseren Zellen meist nicht mehr ganz so lang, wie bei der ersten Gruppe und das ganze Triehom ist nach aufsen deutlich abgeschlossen; die äufsersten Zellen ragen dann hornartig über den Rand hinaus. Oft erscheint auch das ganze Triehom strahlig (sternförmig). An diese Form schliefsen sich direkt die

[29] Entwiekelung der wasseraufn. Bromeliaceen-Trichome. 29

oben für Vriesea Pastuchoffiana Glaz. und Vr. modesta Mez beschriebenen, ausnahmsweise vorkommenden Triehome an. Zu dieser Gruppe gehören Pitc. albucifolia Sehrad., P. panni- culata R. et P. (Fig. 15) P. petiolata Bak. P. Roezlii Ed. Morr. und 13 weitere Arten.

Die dritte Gruppe, die sich morphologisch bei den Pit- cairnia-Schuppen unterscheiden läfst, besteht aus Triehomen, die im wesentlichen folgenden Aufbau haben: Die Mitte wird auch hier durch eine Zentralzelle gebildet. Um diese

Fig. 15. Pitcairnia panniculata R.etP. Fig. 16. Piteawrnia consimilis Bak.

herum schlielsen sich rundliche oder nur wenig radial ge- streckte Zellen. Die Schuppe ist entweder nicht durch starke Wände nach aufsen abgegrenzt oder, wenn sie nach aulsen abgeschlossen ist, so sind entweder die äulseren Zellen ganz oder auch nur teilweise verwachsen, so dals im letzteren Fall auch hier die hornartigen Vorsprünge entstehen. Zu dieser Gruppe gehören: P. Andreana Linden, P. cinnabarına Dietr. P. paueiflora Dryander und P. consimilis Bak. (Fig. 16) sowie 18 weitere Arten. Die beiden letztgenannten Spezies weichen insofern etwas von dem Typus ab, als bei beiden stets der innerste Kranz aus vier Zellen besteht und die sukzessive Zweiteilung im Prinzip der Entwickelung klar zum Ausdruck kommt. Bei P. consimilis Bak. entstehen da- durch da aufserdem auch die Zentralzelle verhältnis-

30 N, TIETZE, [30]

mälsig klein erscheint Formen, wie sie weiter unten bei Dyckia und einigen andern Gattungen noch wiederkehren. Bei Pite. bracteata Dryander sind aufserdem die vier inneren Zellen deutlich dunkler gefärbt.

Aulserdem finden sich bei der Gattung Pitcairnia noch einige Arten, bei denen Triehome aus mehreren der eben angeführten Gruppen neben einander vorkommen. Teils zur ersten und teils zur dritten Gruppe gehören die Schuppen- haare von P. angustifolia Bak., P. echinata Hook., P. latifolia Ldl., P.ramosa Jacg. und P.recurvata ©. Koch; teils zur zweiten und teils zur dritten Gruppe gehörig sind die Haare von P. carnea Beer, P. caricifolia Mart., P. corallina Linden et Andre und P. suaveolens Ldl. Bei P. tenuis Mez kommen alle drei Formenkreise neben einander vor.

Deuterocohnia Mez.

Von der Gattung Deuterocohnia zeigt D. longipetala Mez denselben Typus wie Dyckia affınis Bak., der weiter unten bei der Gattung Dyckia Schult. f. genauer beschrieben werden soll. Auch bei D. Meziana O. Ktze. findet sich auf der Innenseite der Blätter derselbe Typus, auf der Rückseite entsprechen die Triehome dagegen denen von D. erysantha Mez. Bei dieser Spezies ist infolge der starken Tüpfelung das Gesamtbild etwas unklar. Deutlich erkennbar ist nur das Vorhandensein einer dunkel gefärbten Zentralgruppe und dals die andern Zellen sich in .1—3 konzentrischen Kreisen von ungewisser Teilung um diese Zentralgruppe herumlegen. Doch auch diese Formen sind dem Dyckia- Typus zuzuzählen.

Puya Molina.

Auch bei der Gattung Puya sind verschiedentlich Typen vorhanden, die denen von Dyckia affinis Bak. vollständig entsprechen, so z.B. bei P. dyckiordes Mez, P. Doliviensis Bak., P. humilis Mez, P. aequatorialis Andıe und P. clava Herculis Mez et Sodiro. Bei P. humilis Mez finden sich daneben Trichome, die aus einer Zentralzelle, umgeben von radial gestreckten Zellen bestehen. Nur dieser letztere Typus zeigt sich bei P. Cogwimbensis Mez. Eine etwas andere

[31] Entwickelung der wasseraufu. Bromeliaceen-Trichome. al

Form zeigen die. Schuppenhaare von P. floccosa Ed. Morr. und P. Chilensis Mol. Bei diesen beiden Arten ist die Zentralzelle zunächst von einem Kranz rundlicher Zellen umgeben; erst an diese schliefsen sich dann die äulseren länglichen bis bandförmigen Zellen an, die nur zum Teil verwachsen mit ihren Enden hornartig über die Peripherie hervorragten ein Typus, der ja auch bei einigen Pitcairnia- Arten schon gefunden wurde.

Dyckia Sehult. f£.

Die Gattung Dyckia zeigt in dem Aufbau ihrer Triehome in allen Spezies eine sehr grolse Übereinstimmung; als Typus möge hier D. affinis Bak. (Fig. 17”—19) dienen. Bei allen

Fig. 18. Fig. 19. Fig. 17—19. Dyckia affinis Bak.

Dyckia-Triehomen findet man eine Zentralzelle; bei den einfachsten Formen lagern sich um diese Zentralzelle herum konzentrische (meist nach dem Prinzip der Zweiteilung auf- gebaute) Kreise von rundlichen bis schwach radial gestreckten Zellen; ein deutlicher Abschlufs des Triehoms nach aulsen fehlt bei vielen Formen. Die ausgebildetsten Formen zeigen nur eine durch das Triehom durchscheinende Zentralzelle und haben den Aufbau 4-8-16- (unvollständig) 32; zwischen diesen beiden Formen treten die verschiedensten Übergänge auf. Man erkennt an den Übergangsformen deutlich, wie die Zellen des ersten (innersten) Kranzes allmählich über die Zentralstelle hinwegwachsen, sodals diese immer kleiner erscheint und schliefslieh nur noch als durchscheinend siehtbar ist. Dieser Typus, der sich auch bei einigen andern Gattungen vorfindet, ist allen Dyckia-Arten gemeinsam; nur bei D. brevifolia Bak. konnten nieht alle Formen deutlich gefunden werden.

32 M. TIETZE, 2,182]

Cottendorfia Sehult. f. -

Cottendorfia florida Schult. f. zeigt im allgemeinen den Aufbau 4-8-16-32-64; allerdings werden schon vom 8. Kranz an meistens Unregelmäfsigkeiten gefunden. Einmal wurde auch statt der vier Mittelzellen eine Zellgruppe von sieben unregelmälsigen Zellen konstatiert, das ganze Haar erinnerte dadurch an Formen, wie sie bei niedrig stehenden Guzmania- Arten gefunden wurden, nur fehlt den Triehomen selbstver- ständlich der Deekel und die Zahl der Flügelzellkreise ist eine grölsere.

Lindmania Mez.

Auch die Gattung Lindmania zeigt im Aufbau ziemlich

Fig. 20. Lindmania neogranatensis Bak.

weitgehende Übereinstimmungen. Fast überall findet sich hier eine Zentralzelle vor, umgeben von einer schildförmigen Fläche meist rundlicher Zellen. L. guyanensis Mez, bei der die Trichome nur aut der Rückseite gefunden wurden, hat einen von sehr lang gestreekten Zellen gebildeten Flügel; dasselbe war bei L. neogranatensis Bak. der Fall. L. Wed- delliana Mez zeigt auf der Innenseite der Blätter Triehome, deren Flügel aus kurzen Zellen gebildet sind, auf der Aufsenseite findet sieh dagegen derselbe Typus wie bei Lindm. neogranatensis Bak. (Fig. 20).

Er

[33] Entwiekelung der wasseraufn. Bromeliaceen-Trichome. 33

Prionophylium ©. Koch.

Bei Prionophyllum Selloum ©. Koch findet sich die bei der Gattung Lindmania als Typus bezeiehnete Schuppen- form vor, doch ist bei Prionophyllum die Sehuppe deutlich gerandet.

Hechtia Kl. Von der Gattung Hechtia zeigen H. pedicellata Wats.,

-H. myrıantha Mez, H. Morreniana Mez und AH. stenopetala

Kl. stets nur eine Zentralzelle, umgeben von teils rundlichen, teils radial gestreckten Zellen.

Die nächst höhere Gruppe bilden H. argentea Bak., FH. suaveolens Morr. und H. texensis Ser. Wats. Bei diesen drei Spezies findet sich im allgemeinen der oben bei Dyckia (affınıs Bak.) beschriebene Typus wieder. Daneben treten aber bei 7. suaveolens Morr. auch noch Formen auf, die den Formen der ersten Hechtia- Gruppe entsprechen. Ein besonderer Typus wird schliefslich durch H. rosea Ed. Morr. vertreten. Diese Art zeigt stets eine deutliche Differenziation in Trichomscheibe und Flügel; die Scheibe besteht stets aus einer dunkel gefärbten, 4—8 teiligen Zentralgruppe, an die sich ein nach dem Prinzip der Zweiteilung aufgebauter Kranz von rundlichen, gleichfalls dunkel gefärbten Zellen anschlie/st; nach aulsen folgt dann erst ein ebenfalls meist nach dem Prinzip der Zweiteilung sich zusammensetzender Flügel von helleren, rundlichen oder nur wenig radial ge-

streekten Zellen.

Navia Mart.

Bei der letzten und niedrigsten Gattung Nava konnten nur von der Spezies N. caulescens Mart. die Flächenbilder zur Vergleichung herangezogen werden, da bei der andern Art N. acaulis Mart. es trotz wiederholter Versuche nicht gelang leidlich vollständige Schuppenbilder zu erhalten. Die Quersehnittspräparate zeigten jedoch klar, dafs auch hier, wie aus den typischen Kanälen erkennbar ist, die wasser- aufnehmenden Trichome vorhanden sind. Die bei N. cau- lescens Mart. aufgefundenen Triehome zeigen nie eine Differenziation in Scheibe und Flügel; von einer Zentralzelle ausgehend bestehen sie stets aus langen fadenförmigen, nur

Zeitschr. f. Naturwise, Bd. 78. 1905. 3

Dr

34 M. Tierzs, [34]

wenig verwachsenen Zellen, gehören also alle der oben als ersten Pitcairnia-Typus beschriebenen Gruppe an.

b) Vergleichend-morphologische Zusammenstellung der Triehom-Formen.

1. Flächenbild.

Werden die Gestaltungen der Triehome für die hier. beschriebenen Gattungen zusammengefalst, so fallen zunächst einmal sämtliche Tillandsieen dureh die klare Differenzierung von mit diekem Deckel versehener Scheibe und Triehom- Flügel auf und unterscheiden sich dadurch von allen übrigen Bromeliaceen deutlich. Da derartige den Ausdruck des ex- tremsten atmosphärischen Lebens bietende Gestaltungen auch nur andeutungsweise bei den anderen Gruppen fehlen, so sind zweifellos die Tillandsieae als monophyletisch zu be- trachten und als höchste Gruppe der Dromeliaceae anzu- sprechen. Ihre Anlehnung an die niedriger stehenden Formen könnte vielleicht nach den bromelieae hin gesucht werden deswegen, weil dort bei gewissen Aechmea- Arten besonders bei der Untergattung Lamprococceus bereits gleich- falls eine deutliche Differenzierung des Triehom-Flügels und der hier deekellosen Triehom-Scheibe vorliegt. Allein diese Anschauung wäre irrig, denn bei Aechmea $ Lamprococcus ist die an sich schon nieht immer mit völliger Klarheit aus- gebildete Scheibe in der Art ihrer Zellteilung wesentlich von der Scheibe der Tillandsieae verschieden und kann des- wegen nur als homologes Gebilde, nicht als phylogenetischer Vorläufer angesehen werden. Es ist interessant, da[s auch hier dureh fortschreitende Differenziation nach atmosphärischem Leben hin eine deutliche Trennung von Scheibe und Flügel des Triehoms bewirkt ist. Je breiter und differenzierter letztere ausgebildet sind, um so besser können sie in ihrer Gesamtheit als das Blatt überdeckende Hülle der Funktion als kapillares Saugorgan für atmosphärisches Wasser dienen. Im übrigen zeigt aber die morphologische Verschiedenheit der Organe, dals es sieh bei Aechmea $ Lamprococcus einer- seits, bei den Tillandsiene andererseits um Konvergenzer- scheinungen, nieht um natürliche Verwandtschaft handelt.

Ä

[35] Kntwickelung der wasseraufn. Bromeliaceen-Trichome. 7

jur

Der Anschluls der Tillandsieae kann allein nach der Seite der Pitcarnieae hin gesucht werden, und zwar ist es die Gattung Cottendorfia, welehe Triehomtypen zeigt, die als Vorläufer der niedrig stehenden Guzmania-Triehome anzu- sehen sind.

In der an sich wenig homogenen und enge Verwandt- schaftsbeziehungen zu allen übrigen Tillandsieen- Gattungen aufweisenden Gattung Guzmanıa finden sich die oben besonders beschriebenen Haarformen bei Guzmania capitu- ligera Mez und @. Devansayana Morr., welche sieh durch Mehrteiliskeit des Schildes von allen übrigen 7%llandsieen unterscheiden. Zugleich ist hier der Mechanismus der Wasser- aufnahme ein von den übrigen Tillandsieen wesentlich ver- schiedener und mu/s bier in Kürze besehrieben werden:

Während bei den übrigen Tillandsieen eine ganz auf- fallend starke Verdiekung der Scheibenzellwände nach aufsen klare Bilder eines Deckels zeigt und damit das Vorhanden- sein des von MEz beschriebenen Wasseraufnahme-Mechanis- mus beweist, eines Mechanismus, für welehen das Vorhanden- sein des dieken, quellenden Deckels nötig ist, ist bei Guz- mania Devansayana Morr. und G. capituligera Mez die Ver- diekung der Scheibenzellen nach aulsen eine wesentlich geringere, dafür sind die radialen Wände ziemlich stark verdickt.

Bei beiden genannten Arten ist beim trockenen Triehom die Höhlung der Scheibenzellen fast vollständig verschwunden. Werden die von MEz!) beschriebenen Quellungsversuche aus- geführt, so vergröfsern sich auch hier die Lumina der Scheibenzellen plötzlich, allein ohne dals eine wesentliche Quellung der Membranen bemerkbar wäre. Hier handelt es sich unzweifelhaft um einen reinen Kohäsions-Meehanismus?), da Einrichtungen, welche durch Quellung eine Pumpwirkung ausüben könnten, völlig fellen und gerade das Auftreten des reinen Kohäsions- Mechanismus verbindet die beiden genannten Guzmania-Arten mit den niedriger stehenden Bromeliaceen, bei welchen, wie aus dem allgemeinen Fehlen

1) Mez, l. c. p. 165, 166. ®) Steinbrink in Ber. d. Deutsch. bot. Gesellsch. p. 170—178.

3%

36 M. Tierzs, [36]

des Triehom - Deckels hervorgeht, der Kohäsions- Mechanis- mus für die Wasseraufnahme der allein bestimmende ist.

Unter den Pitcairnieae, welehe, wie oben bemerkt, auch morphoilogisch als niedrigster Typus sich erweisen, ist Navia zusammen mit Pitcairnia, Lindmania und Prionophyllum be- züglich der Triehomausbildung ohne Zweifel am niedrigsten stehend. Hier wird die Mitte des Trichoms von einer einzigen ungeteilten Zentralzelle eingenommen, welche sich weder dureh Gröfse noch durch besonderen Inhalt von dem aller- meist regellos angeordneten, aus polygonalen oder verbogenen Zellen bestehenden Netzwerk der Triehome unterscheidet. Man könnte hier an sich wohl fragen, ob man es überhaupt mit der Wasseraufnahme dienenden Triehomen zu tun hat, doch beweist, wie gleich unten dargestellt werden wird, das Quersehnittsbild, insbesondere das Vorhandensein des die starre Blattumhüllung durchbreehenden Kanals der Auf- nahmezellen, dafs auch hier bezüglich der Funktion kein Zweifel sein kann.

Diese Gattungen stellen morphologisch die einfachste und ursprünglichste Triehomform vor Augen, sie sind des- wegen als ursprünglichste Dromeliaceen - Gattungen zu be- zeichnen. Auch aus dem Umstand, dals diese Gattungen keine einzige epiphytische Form enthalten, gewinnt die An- schauung, dafs es sich bei ihnen um primäre Dromeliaceen- Formen handelt eine beträchtliche Stütze.

An sie schlielsen sich die Gattungen Dyckia, Hechtia, Puya und Deuterocohmia an. |

2. Quersehnittsbild.

a) Die haarbildende Epidermiszelle.

Wurde im vorstehenden das Flächenbild der Schuppen hauptsächlich der Betrachtung unterworfen und an demselben eine grofse Zahl von verschiedenen Ausbildungen gefunden, so ist es nun nicht überflüssig, auch auf die Querschnitts- bilder, welche meine Untersuchungen ergeben haben, genauer einzugehen. Hier kann ich mich kürzer fassen, denn im Querschnitt kommen wesentlich die allen Bromelaceen- Schuppen gemeinsamen Merkmale, welche für die biologische

[837] Entwiekelung der wasseraufn. Bromeliaeeen-Trichome. 37

Funktion der Wasseraufnahme bestimmend sind, zum Aus- druck.

Zunächst ist bei sämtlichen Bromeliaceen, wie oben bereits angedeutet, die Einsenkung der Basis der Schuppen- haare tief unter das Nivean der Epidermis allgemein ver- breitet. Als haarbildende Epidermiszelle ist stets die direkt unter dem eigentlichen Triehter liegende, in ihrer Gestalt von den angrenzenden Mesophylizellen nicht deutlich unter- scheidbare Zelle zu bezeichnen.

Dies hat deswegen ein gewisses Interesse, weil im übrigen die Epidermiszellen der Dromeliaceen ein ganz charakteristisches Aussehen insbesondere auf dem Quer- schnittsbild zeigen. (Fig. 21). Mit sehr wenigen Ausnahmen, welche sich vor allem in der Gattung Pitcaörnia bei ein- zelnen nieht mit Ligular-Schuppen an den Blumenblättern versehenen Arten finden, sowie merkwürdiger Weise mit Fig. 21. Pitcairnia Ausnahme von Orthophytum, sind die Oerstedtiana. Zellwände der Epidermiszellen der Bromeliaceen stets nach aulsen sehr viel weniger verdickt, als nach innen. Die Differenzen der Membrandurchmesser können ganz gewaltig sein, derart, dals insbesondere bei extrem xerophyten Arten die Dicke der Innenwand um das 30—40 fache die der Aufsenwand überragt. In solchen Fällen wird man häufig die Lumina der Epidermiszellen selbst auf dem Querschnitts- bild nur als striehförmige oder sehr kleine niedergedrückte elliptische Figuren erkennen können. Dieser extreme Typus der Epidermis- Ausbildung ist ein in der ganzen Familie so weit verbreiteter, dafs man beinahe von einem anatomischen Familiencharakter sprechen könnte.

Nur die trichomtragenden und tief versenkten Epi- dermiszellen machen bei jeder Spezies eine Ausnahme und schliefsen sich in ihrer Gestalt und der Verdiekung ihrer Membranen durchaus an die angrenzenden Mesophylizellen an. Nicht als ob diese Zellen, wie man nach ihrer das Wasser von aulsen nach innen leitenden Funktion annehmen sollte, stets dünnwandig wären.

Wenn die äulfsersten Schichten des Mesophyllis sklero-

89 M. TIeTzE, [38]

tisierte Stellen aufweisen (Dyckia, Hechtia, ete.) so haben auch die haartragenden Epidermiszellen sklerotischen Charakter und sind nur, wie bereits SCHIMPER!) hervorgehoben hat, mit besonders starker Tüpfelung ihrer Membranen versehen.

So könnte in manchen Fällen die Bestimmung der haar- tragenden Epidermiszellen schwierig sein, wenn nicht ein bei der Färbung mit Sudanglyzerin sich ergebendes Merk- mal bei allen Dromeliaceen eintreten würde: Als im höchsten Mafse kutikularisiert und dementsprechend durch tiefere Färbung ausgezeichnet erweisen sich blols die alleräulsersten Sehichten selbst dieker bromeliaceen-Hautgewebe. Nur an wenigen Stellen dringen diese extrem kutikularisierten La- mellen tiefer ins Innere des Blattes vor, und zwar ist dies der Fall immer um die Trichter der Triehombasen herum.

Was Mez°) gegenüber SCHIMPER?°) für die Tillandsieae betonte, dafs nämlich die Durchlafszellen keineswegs, wie letzterer behauptet, der Kutikularisierung entbehrten, sondern im Gegenteil stets einen besonders hohen Grad der Kuti- kularisation aufweisen, habe ich für die ganze Familie der bromeliaceen bestätigt gefunden.

Diejenige Zelle, bis zu welcher der stark kutikulariserte Triehomtriehter herunterreicht, ist stets die haarbildende Epidermiszelle.

Auf ihr steht überall der mit den umgebenden Epi- dermiszellen des Triehters seitlich verwachsene Stielteil des Triehoms.

b) Der Stielteil.

Vergleichende Untersuchungen, ob vielleicht aus der Zahl der den Stiel zusammensetzenden Zellen Schlüsse auf die Höhe der Anpassung an atmosphärisches Leben oder auf phylogenetisch-systematische Verhältnisse gezogen werden könnten, haben zu keinem Resultat geführt. Die Zahl der Stielzellen der Bromeliaceen - Schuppen ist allein abhängig von der Dieke des Hautgewebes, das durchbrochen werden muls, derart, dals bei den mit sehr dünnem Hautgewebe

1) Schimper |. c. pag. 71. 2) Mez ]l. ce. pag. 222. ®) Schimperl. e. pag. 71.

[39] Entwickelung der wasseraufn. Bromeliaceen-Trichome. 3) versehenen Tauformen der Gattung Tillandsia meist nur eine Stielzelle vorhanden ist, während die gröfste Zahl (5 —6) bei Nidularium-Arten, Brocchinia und Deuterocohnia gefunden wurde. Hier ist das Hautgewebe durch besondere Mächtig- keit ausgezeichnet.

II. Folgerungen aus den morphologischen Befunden.

a) Verhältnis der verschiedenen Triehomtypen zu den biologischen Gruppen der bromelaceen. Nieht ohne Interesse ist es nun, der Frage nachzugehen,

wie sich die verschiedenen von mir oben eharakterisierten

Triehomformen auf die morphologisch-biologischen Typen der

bromeliaceen verteilen. Indem ich neben den mir zur Unter-

suchung vorliegenden Herbarexemplaren die Sammlung

lebender bromeliaceen im Botanischen Garten zu Halle a. S.

sowie. die Abbildungen von Axroines Phyto-Icono-

graphie der Dromeliaceen und die Bilder des „Botanical

Magazine“ sowie der „Flora Brasiliensis“ zur Präzi-

sierung dieser Typen benütze, möchte ich dieselben wie folgt

einteilen:

1. Terrestrische Formen npiederer Ordnung.

Rosetten allermeist schmaler, oberseits nur wenig rinnen- förmig vertiefter Blätter, deren Scheiden flach sind und keine besonders ausgebildeten Behälter zur Ansammlung des Regen- wassers bilden. Die Stellung der Blattspreiten ist insofern eine recht typische, als sie bei stammlosen Arten in voll entwiekeltem Zustand flach ausgebreitet zu sein pflegen; ist ein Stamm vorhanden (wie z. B. bei Puya chilensis, Pitcair- nia pumicea, aphelandiflora), so ist ein grofser Teil der Blätter zurückgeschlagen. Die Versorgung der Pflanzen mit Wasser findet im wesentlichen durch die sehr gut ausge- bildeten, ein reich verzweigtes und kräftiges System dar- stellenden Wurzeln statt. Die Gefälsbündel des Blattes sind dementsprechend in Bezug auf die Entwicklung des Xylem- teils gut ausgestattet; Grölse und Häufigkeit der Tracheen sind vollkommen normal. Je nach dem Vorkommen in trockenen Gegenden (Campos von Süd-Amerika, Tierra fria

40 M. TIETZE, [40]

von Mexico) oder in feuchter Umgebung (z. B. Regenwälder Columbiens) kann die Ausbildung von Durchlüftungs- und Wassergewebe des Blattes eine sehr wechselnde sein.

Stets ist hier die Blattscheide bezüglich der Häufigkeit der Schuppen nicht bevorzugt, ja sie ist in extremen Fällen (z. B. Dyckia, Hechtia) kahl. Die Schuppen sind im wesent- lichen auf die Rückseite des Blattes beschränkt, sie dienen, was keinem Zweifel unterliegen kann, in der Hauptsache zur Bedeekung der hier vorbandenen Spaltöffnungen und stellen einen umso wirksameren Verdunstungsschutz dar, als ihre Randzellen häufig ausgefranzt und miteinander innig verfilzt sind (siehe oben S. 28). Auf diese Weise können Scheinmembranen nach der Art der bei den Resticaceen') bekannt gewordenen gebildet werden, welche bekanntlich die Verdunstung auf das äulserste herabsetzen.

Es ist bemerkenswert, dafs bei dieser auf der niedrigsten Stufe stehenden terrestrischen Habitusform (Navia, Pit- cairnia [zum grölsten Teil], Puya, Dyckia, Hechtia, Lind- mania, Deuterocohmia, Prionophyllum) sich nur der niedrigste Schuppentypus, charakterisiert durch unregelmälsigste Aus- bildung der Schuppenzellen, vorfindet.

Nur eine, biologisch allerdings höchst interessante, Aus- nahme ist hier zu erwähnen: auch Streptocalyx angustifolia Mez gehört ihrem ganzen Habitus nach zu den terrestrischen Formen niedrigster Ordnung und rechtfertigt die nach dem Augenschein gemachte Unterbringung bei diesen durch ihre nach Breite und Menge auffallend stark entwickelten Tracheen und nur schwach besehuppten Blattscheiden. Da- dureh unterscheidet sich diese Spezies wesentlich von den übrigen breitblättrigen Streptocalyx-Arten, bei welchen typische Wasserreservoire in den Blattbasen angelegt sind und die Aufnahme des Wassers wesentlich durch die Schuppen der Blattscheiden und Blattspreiten stattfindet. Der Fort- leitung desselben bei diesen Arten stehen nur wenige und reduzierte Tracheen zur Verfügung.

Durch ULE?) wurde ganz neuerdings bekannt, dals diese

) Gilg in Engl. Jahrb. XII, p. 571. 2) Ule in Karsten und Schenk, Vegetationsbilder II Heft 1, Tab, 6.

[Al] Entwickelung der wasseraufn. Bromeliaceen-Trichome. 41

Dromeliacee zu den merkwürdigen Ameisenepiphyten des Amazonasgebietes gehört, welche von ihren tätigen Sym- bionten mit reiehlicher Erde versehen werden und, trotz ihrem luftigen Standort, auch in der reichen Ausbildung des Wurzelsystems!) eine Rückbildung zu terrestischer Lebens- weise zeigen.

Diese Streptocalyx angustifolia ist durch die regelmälsige Anordnung der Triehomzellen um die Zentralgruppe herum von allen terrestrischen Formen niederer Ordnung verschieden; die Morphologie ihrer Schuppen zeigt klar die Abstammung von biologisch höher organisierten Arten, als welche uns die übrigen Spezies von Ötreptocalyx entgegentreten.

2. Terrestrische Formen höherer Ordnung.

Eine unzweifelhaft höhere, bei manchen Formen (7. B. Greigia) allmählich an die Anpassungen der wenig ent- wiekelten Epiphyten, bei andern Gattungen (Fascicularia, Rhodostachys, Andrea) an die niederen terrestrischen Aus- bildungen anknüpfende und aus letzteren entwickelte Or- sanisation tritt bei den Gattungen Dromelia, Oryptanthus und Ananas typisch auf.

Der wesentliche Unterschied gegenüber der niedersten Anpassungsstufe besteht in der Verbreiterung der meistens deutlich rinnenförmig ausgehöhlten Blattspreiten und in der Bildung kleiner aber immerbin deutlich entwickelter Wasser- behälter durch die etwas verbreiterten Blattscheiden.

Am schönsten wird dieser Typus von Dromelia dar- gestellt. Besonders die grölseren Arten dieser Gattung (z. B. Dromelia Karatas, br. Balansae, Br. fastuosa ete.) weisen sehr lange, stark rinnenförmige, ihrer grölsten Er- streekung nach schräg nach oben gerichte Blattspreiten auf, welehe geeignet sind, bedeutende Mengen von Regenwasser nach den Blattscheiden zu ablaufen zu lassen.

Die Blattscheiden selbst sind beiderseits dicht mit Schuppen primitiver Form besetzt. Insbesondere ist auch bei dieser biologischen Gruppe die Ausbildung einer Zentral- zellgruppe äulfserst selten; doch gestattet die diehte An-

1) Ule in Verh. 76. Vers. Deutsch. Naturf. u. Arzte 1904 II. 1, p. 249.

42 M. TıEmze, | 2]

häufung der Trichome trotzdem eine bedeutende Aufnahme- leistung.

Bemerkenswert ist, dals bei dieser biologischen Form jede Blattseheide für sich zu einem besonderen Wasserbe- hälter ausgebildet ist. Ich möchte deshalb hier von Wasser- nischen sprechen im Gegensatz zu den Wasserkrügen oder Wassertrichtern, welche bei höher organisierten Formen auftreten. Aus der Beschreibung dieser Ausbildung geht auch besonders hervor, dafs eine Ausbauchung der Blatt- scheiden zu ausgehöhlten Organen und damit ein Schutz des in die Nischen aufgenommenen Wassers vor rascher Ver- dunstung so gut wie ganz fehlt. Nur in der Beschattung des Zentrums der Pflanze durch die Blattspreiten der Rosette wird eine in ihrer Wirkung nicht allzuhoch anzuschlagende Herabsetzung der Verdunstung des angesammelten Wassers sesehen werden können. Ferner ist bei der hier vorhandenen Art der Wasserbehälter ein Aufsammeln fester Nahrungsstoffe (abgefallene Baumblätter ete.) in diesen ausgeschlossen.

Bei allen Formen, welche dieser zweiten Anpassungs- stufe angehören, findet sich mit sehr wenigen Ausnahmen, die alle einem feuchten Klima entstammen (z. B. Disteganthus aus den Urwäldern Guyanas), eine sehr intensive Beschuppung der Blattunterseite genau wie bei der ersten Gruppe. Aber hier ist es nicht nur der Schutz der Spaltöffnungen gegen allzu starke Verdunstung, weleher diese Anordnung be- dingt, sondern es handelt sich auch schon um kapillare Ansaugung des Wassers durch den Schuppenbelag der Blattunterseite.

Sehr schön kann man das z. B. bei Uryptanthus sehen. Begielst man eine Rosette von Oryptanthus acaulis Otto et Dietr. vorsichtig, so dafs die dieht mit weilslichen Schuppen bedeekten Unterseiten der Blätter nicht benetzt werden, so sieht man nach kurzer Zeit, wie von den Wassernischen (Blattscheiden) aus beginnend die weilsliche Farbe sieh in Grün umwandelt. Der Wasserinhalt jeder Nische wird von den Unterseiten des oder der darüberstehenden Blätter kapillar im Sehuppenbelag in die Höhe gezogen und ins Mesophyll aufgenommen,

. P) m.: {5} [48] Entwickelung der wasseraufn. Bromeliaceen-Trichome. 45

Immerbin ist diese Einrichtung zur Wasseraufnalme stets eine unvollkommene; bei der geringen Kapazität der Nischen können die geförderten Quantitäten keine be- deutenden sein.

Dem entsprieht die Tatsache, dafs, so weit ich es über- sehen kann, alle Arten dieser zweiten Anpassungsstufe mit gut entwickelten, der Nahrungsaufnahme aus dem Boden dienenden Wurzeln versehen sind und dafs überall, ohne jede Ausnahme, die Holzteile der Blatt-Gefälsbündel gut ausgebildet sind. Die Zahl der Tracheen pflegt normal (4—10) zu sein; allerdings ist ihr Durchmesser niemals so bedeutend, wie er bei den Formen der ersten Anpassungs- stufe häufig gefunden wird.

Zu der hier beschriebenen zweiten Anpassungsgruppe gehören die Gattungen Fascicularia, Deinacanthon, Uryp- tanthus, Bromelia, Greigia, Disteganthus, Orthophytum, An- drea, Ananas und Pitcairnia ». T. ($ Phlomostachys und Neumannia vollständig). Auch Acanthostachys sehlielst sich hier an.

3. Epiphyten niederer Entwickelung.

In diese Gruppe, welehe nach SCHIMPER!) auch als dem Standort nach niedere, d. h. die untersten Regionen der Ur- waldbäume einnehmende, niemals bis in die höchsten Zweige derselben aufsteigende Formen bezeichnet werden können, sind die allermeisten Bromeliaceen, insbesondere die bisher noch nicht genannten Bromelieae-Gattungen und die niederen Tillandsieae zu stellen. Sie wechseln, was bemerkenswert erscheint, vielfach den Standort derart, dals sie bald an Baumstämmen, bald an Felsen, aber auch (vergl. z. B. die Abbildungen SCHENKS?) in der Restinga von Rio de Janeiro auf dürrem Sandboden vorkommen.

Ihr physiognomischer Habitus ist recht einförmig, stets eharakterisiert durch die sehr stark entwickelten Scheiden der Rosettenblätter und die aufsteigenden oder aufrecht- abstehenden Blattspreiten. Die Zahl der Blätter pflegt

») Schimper, 1. c. p. 9. 2) KarstenundSchenk, Vegetationsbilder I. Heft 7, Tab. 39—42,

44 M. Tıerze, [44]

gegenüber der vorigen Gruppe reduziert, oft bis auf 3—7 (z. B. Billbergia) gemindert zu sein, doch ist dies nicht über- all der Fall, da z.B. die hierher zu rechnenden Ohevaliera- sowie viele niedrig epiphyte Tillandsia-Arten der Untergattung Allardtia und Spezies der Gattung Vriesea au Zahl der Blätter kaum hinter terrestrischen Bromeliaceen zurück- stehen.

Gemeinsam ist allen diesen Formen die Ausbildung eines Wasserbehälters, weleher durch die Gesamtheit der dieht mit ihren Rändern aneinander gepre/sten Blattscheiden gebildet wird. Die Menge des Wassers in diesem Behälter kann eine ganz gewaltige sein; hier sei besonders auf die bekannten Utricularien-Entwickelungen in den Wasserbe- hältern von Vriesea- Arten!) sowie auf die Tatsache hin- gewiesen, dafs nach ULE?) die Länge der Blumenkrone vieler Nidularium- Arten deswegen durehaus inkonstant sei, weil die Längenentwickelung der (eine Röhre bildenden) unteren Teile der Petalen durch die zufällige Höhe des Wasserstandes im Wasserbehälter bedingt werde. Die Blüten müssen in diesem Falle das Wasser durchwachsen um ober- halb seines Spiegels sich zu entfalten.

Auf besondere Steifungen, welche die Wände dieser oft viele Liter Wasser enthaltenden Reservoire, nämlich die Blattscheiden, auszeichnen, hat SCHIMPER?) aufmerksam gemacht.

Bei allen diesen Epiphyten niederer Entwickelung ist es wesentlich die Blattscheide, welche von den wasserauf- nehmenden Triehomen sehr dieht bedeckt ist; die Oberseite der stets stark rinnenförmigen, meist ziemlich oder sehr breiten Spreite ist meistens fast kahl. Dagegen kann die Blattunterseite mehr oder weniger dichte Schuppenbekleidung aufweisen. Eine Bedeutung dieser letzteren für die Herab- setzung der Transpiration ist unverkennbar; andererseits ist aber auch ein kapillares Aufsteigen des Wassers aus dem Reservoir in den Schuppenbelag der Unterseite oft in .be-

1) Sehimper, 1. e. p. 39—40; Ule in Ber. Deutsch. bot. Gesellsch. XVII (1899) p. 2.

2, Ule, 1. e XVI (1893) p. 356.

2). Schimpier, el, 9277:

[45] Entwickelung der wasseraufn. Bromeliaceen-Trichome. 45

deutende Höhe überall da, wo die Beschuppung besonders dieht ist (nach Versuchen an Blättern von Herbarexemplaren von Aregelia Morreniana) unverkennbar. Es werden dann, speziell in der Zeit besonders hoher Füllung der Reser- voire, welche während der Zeit der tropischen Regenfälle eintritt, die Schuppen der Blattspreite, in besonders hohem Mafse auch die der Blattunterseite, gleichfalls mit an der Wasserversorgung der Blattgewebe beteiligt.

Aulser bei Billbergia, deren erste von mir oben unter- schiedene Gruppe keine deutliche 4-Teilung der Zentralzelle aufweist und aulser bei Hohenbergia, bei weleher die Bildung der Zentralgruppe des Trichoms wegen Materialmangel un- bestimmt blieb, zeigen alle Schuppen dieses niederen Epi- phytentypus eine deutliche, meistens 4-teilige Zentralzellgruppe und um dieselbe herum in meist deutlich konzentrisch an- geordnete Reihen gestellte Scheibenzellen, soweit nicht (7%I- landsieae, Aechmea $ Lamprocalyx) direkt die hohe Differen- ziation in zentrale Aufnahme- und peripheriale zuleitende Zellen der Trichome eingetreten ist.

Die Wasserversorgung der Pflanzen aus diesen von den Blattscheiden gebildeten Reservoiren durch die Schuppen muls eine sehr prompt funktionierende sein. Dies geht aus der Tatsache hervor, dafs alle in diese biologische Gruppe gehörigen Gattungen (Aechmea, Chevaliera, Androlepis, Portea, Hohenbergia, Witimackia, Aregelia, Nidularium, Canistrum, Gravisia, Streptocalyx 2. T., Araeococcus parviflorus, Bill- bergia, Quesnelia, Vriesea, Catopsis, Guzmania, Tillandsia z. T. und Thecophyllum) eine im-Vergleich zu ihrer Blatt- fläche nur sehr schwache, oft direkt auf Haftorgane be- schränkte Bewurzelung erkennen lassen.

Zu diesen Epiphyten gehört z. B. die von SCHIMPER!) in ihrem biologischen Verhalten genauer beschriebene @uz- mamia Plumieri Mez, sowie die ebendort genannten Guz- mania lingulata Mez und Vriesea spee. und ebenso Vriesea carinata, deren Ernährung von Mrz?) ausführlicher geschildert wurde.

1!) Schimper,l. ce. p. 67—69. ?) In DC. Monogr. Phanerog. IX, p. XIII.

46 M. Tıerze, [46]

Es darf nieht übergangen werden, dals mit der Aus- bildung der Wasserreservoirs in den Blattscheiden im all- gemeinen eine weitere Reduktion der Xylemteile, besonders der Tracheenweite in den Blattnerven verbunden zu sein pflegt. Doch gilt diese Bemerkung nur für diejenigen Formen (z. B. die meisten Arten von Aregelia, Canistrum und Nidu- iarıum, Hohenbergia augusta), deren Mesophyll kein besonders ausgebildetes Durchlüftungsgewebe aufweist. Ist ein solehes dagegen vorhanden (besonders die grolsblätterigen Arten von Vriesea, sowie Portea, Gravisia aquilega ete. zeigen Durch- lüftungsgewebe, welche direkt an die bei Wasserpflanzen gewohnten Verhältnisse erinnern), so sind auch die Tracheen der Gefälsbündel stark und gut ausgebildet. Diese Durch- lüftungsgewebe der genannten Formen sind schon dadurch wesentlich verschieden von ähnliehen bei epiphytischen Araceen!) auftretenden Interzellularräumen, dals sie niemals Schleim ae und mit den Atemhöhlen der Spaltöffnungen in direkter Verbindung stehen.

4. Epiphyten hoher Ordnung.

Unter dieser Gruppe möchte ich nur die von Mkz?) als „extrem atmosphärisch* bezeichneten Tillandsia- Arten sowie sehr wenige Spezies Thecophyllum (Th. Kränzlinianum), Vriesea (Vr. oligantha, Platzmanni) und unter den Bromelieae die merkwürdige Aechmea tillandsioides zusammenfassen. Diese hervorragend interessante Gruppe hat weitaus die eingehendste Bearbeitung erfahren.

Uber die genannten Tillandsieae kann ich mich kurz fassen. Sie sind alle dadurch ausgezeichnet, dafs die haupt- sächlichste Wasseraufnahme nicht durch die Triehome der Blattscheide, sondern durch die der Blattspreite bewirkt wird. Selten und nur bei Arten dürrster Klimate?) kommt zu der Tätigkeit der Blattspreiten auch noch die der Blatt- scheiden, letzterer als Wasserreservoire, hinzu. Bei diesen Epiphyten höchster Entwickelung ist die Wurzelbildung auf ein Minimum beschränkt, ebenso sind die Tracheen der

1) Merel, Schimper, l. c. p. 41. 2) Miez,.l..0779..158. 3) Mez in Jahrb. f. wissenschftl. Bot. XL (1904) 218.

|47] Entwickelung der wasseraufn. Bromeliaceen-Trichome. 47

Gefälsbündel nur sporadisch vorhanden oder fehlen voll- ständig.!) Stets ist das Triehom in seiner höchsten Aus- bildung hier vorhanden.

Nur Aechmea billandsioides Bak., welche in Süd-Brasilien zusammen mit Tillandsia-Arten die höchsten Zweige der Bäume bewohnt, weicht in ihrem Typus völlig von den Tillandsieen ab: Zu den Wasserreservoiren der Blattscheiden, welehe für meine Gruppe 3 zugleich mit öfters niederer Ausbildung der Schuppen bezeichnend waren, treten hier noch Wassergewebe im Mesophyll, welehe von ganz besonderer Ausdehnung sind und an bei xerophyten terrestrischen Arten vorhandene Verhältnisse (z. B. Puya, Dyckia, Hechtia) er- innen. Diese Aechmea tillandsioides hat durch die Aus- dehnung der Wasserspeicher im Innern der Pflanze eine Anpassung erreicht, welche in dieser Ausbildung bei andern epiphyten Dromeliaceen nicht gefunden wird und an die bei den epiphytischen Cacteen, Peperomien und Gesneraceen?) erinnert. Unter diesen Umständen konnte auch eine niedrigere Schuppenform extrem atmosphärisches Leben ermöglichen.

b) Verwendung der Triechomcharaktere zur Entwickelung der Bromeliaceen-Phylogenie.

‚Werden vielfach im vorhergehenden bereits berührte Punkte, welche sich auf die Phylogenie der Bromeliaeeen beziehen, hier nochmals aufgenommen nnd zusammengefalst, so kommt man zu dem Schluls, dals die Bromeliaceen in ihrer Gesamtheit von einer mit Hilfe ihrer Triehome wasser- aufnehmenden Form abstammen.

Schon daraus geht hervor, dals wenig andere Familien des ganzen Pflanzenreiches so geeignet waren, verschiedene Stämme epiphytischer Formen hervorzubringen, wie unsere Familie.

Es ist hier der Ort, auf ScHIMPERSs3) Ansichten über den Ursprung der epiphytischen Flora überhaupt zurückzukommen.

‚Seine Angaben, dals es Pflanzen des tiefschattigen Ur- waldes seien, welche wesentlich sich zu epiphytischen Arten

>>Schimper, lc. p: 79; Mez, ]..c. p. 212. 2) Schimper, l. e. p. 37. 3) Schimper, 1. e. p. 117, 120, 129, 130.

48 M. TIETZE, [48]

entwickelt haben, mag bezüglich der holzigen Epipbyten im allgemeinen zutreffen. So dürfte es zweifellos sein, dals z. B. die Ficus-Arten, so weit sie epiphytische Keimung besitzen, Urwaldformen sind, welehe nur die Keimung der kleinen Samen am Licht behufs baldiger Assimilation in die Baumkrone getrieben hat.

Bei den Dromeliaceen dagegen kann keine Rede davon sein, dals hier die epiphytischen Formen aus solehen des tief schattigen Urwaldes entstanden sind. Durch meine Untersuchungen wurde von neuem bestätigt, dals die ganze Familie von den terrestrischen Pitcaörnieae abstammt. Diese sind Pflanzen der offenen Steppenformation; nur aulser- ordentlich wenige Formen kommen im andinen Urwald vor, und auch bei ihnen ist es zweifelhaft, ob es sich bei den Standorten um dichten Urwald handelt. Von diesen Pit- cairnieae haben nach der einen Seite die Dromelieae, nach der andern Seite die Tillandsieae nachweisbar ihren Ur- sprung genommen. Während es bisher noch nicht mit voll- kommener Sicherheit festzustellen war, dafs diejenigen Gattungen, in welchen der Epiphytismus am ausgesprochensten vorliegt, phylogenetisch tatsächlich die jüngsten sind, ist dieser Nachweis nun mit Hilfe des Baues der Schuppen gelungen. Überall, wo extrem atmosphärische Formen auftreten, lassen sich dieselben beinahe schrittweise auf terrestrische Formen zurückführen, und zwar ist es bemerkens- wert, dafs es sich nieht um terrestrische Formen des Urwaldes, sondern überall um solche der Steppe respektive der steinigen Gebirge handelt.

Wenn wir, wie dies notwendiger Weise geschehen muls, nieht das epiphytische, sondern das atmosphärische Leben der Formen unserer Familie betonen, so kann es keinem Zweifel unterliegen, dafs die Entwiekelung der Formen- kreise in der Weise erfolgte, dafs die Anpassungen an at- mosphärisches Leben nicht epipbytisch d. h. auf anderen Gewächsen, sondern an dürren Felsen erworben wurden.

Damit stimmt gut überein, dals die gesamten An- passungen für die Ausstreuung der Samen, welche für das atmosphärische Leben so grolse Bedeutung besitzen, in voll- kommen gleicher Weise sowohl Felsstandorte, wie epiphytische

[49] Entwickelung der wasseraufn. Bromeliaceen-Trichome. 49

Standorte zu gewinnen erlauben. Sowohl die in Beeren steekenden Samen der Bromelieae, welche von Vögeln oder Fledermäusen !) gefressen werden, wie auch die langen pappusartigen Haare der Samen der Tillandsieae sind aufs vortreffliehste geeignet, an rauhen Felsen zu haften und hier die Pflanze sich entwickeln zu lassen.

Zu wenig Aufmerksamkeit wurde bisher einer Ent- deekung HEINRICHERS?) beigelegt, welcher nachgewiesen hat, dafs die Samen der meisten Bromeliaceen bei Liehtabschlufs nieht zur Keimung gebracht werden können, sondern nur im Lieht sich weiter entwiekeln. Das ist ohne allen Zweifel der klarste Beweis dafür, dafs die Bromeliaceen Pflanzen des Liehtes und nicht des schattigen Urwaldes sind, so dafs auch von diesem Gesichtspunkte aus die These SCHIMPERS, was die Bromeliaceen anbetrifft, als widerlegt anzusehen ist.

In kurzer Zusammenfassung sind die Resultate meiner Arbeit folgende:

1. Die Bromeliaceen stellen einen monophyletischen Formenkreis dar, weleher in seiner Gesamtheit und von den niedersten Formen ab wasseraufnehmende Triehome besitzt.

2. Die Tillandsieae sind als höchst entwickelte, dem at- mosphärischen Leben am meisten angepalste bromeliaceen zu betrachten.

3. Sowohl die Tillandsieae wie die Dromelieae schlielsen sich mit ihren niedriger entwickelten Formen, was die Schuppengestalt betrifft, an die Pilcairnieae an und müssen von diesen abgeleitet werden.

4. Dementsprechend ist ein vollkommenes Gleichlaufen der aus dem Charakter von Ovulum und Same sich ergebenden morphologisch-phylogenetischen Reihen mit den durch die Entwickelung der Schuppenhaare zu atmosphärischen Leben bedingten zu konstatieren.

1) Ule in Ber. d. Deutsch. bot. Gesellsch. 18 (1900) p. 122. 2) Heinricher in Beihefte z. bot. Zentralbl. 13 (1903) p. 164 bis 168, 172.

Zeitschr. f. Naturwiss. Bd. 78. 1905—06. 4

Inhalt.

Seite Iimleittin tr. N RT Ar RI T REEEIERE I. Morphologie der Bromeliaceen-Triehome .......... 5 a) Die Trichome der einzelnen Gruppen und Gattungen .. 5 2 Iljandsie2e 6, Gattungen 0 1 en 5 2 Bromelieae, 24, Galfunsenw a ee 13 32=Piteairmieae, I Gattungen an b) Vergleichend -morphologische Zusammenstellung der Tri- eiom-Formenk Halt Bis RE 34 1... Plächenbilde ..... =... 2a ee en: 34 2.4 Quersehnittsbild®. u gr 2... 120. 020000 es a 36 Die haarbildende Epidermiszelle . ... ...... 36 Der Stelteilr. aa en REBEL EEE 38 II. Folgerungen aus den morphologischen Befunden... .... 39 a) Verhältnis der verschiedenen Trichom-Typen zu den bio- logischen Gruppen der Bromeliaceen. ......... 39 1. Terrestrische Formen niederer Ordnung. ...... 39 2. Terrestrische Formen höherer Ordnung ....... 41 3. Epiphyten niederer Entwickelung. ......... 43 4. EpiphytenshoberOrdnungsrw Marl TR Er 46

b) Verwendung der Triehomcharaktere zur Entwickelung der Bromeliaceen- Phylogenie Er ee: 47

Studien über die phanerogame Flora und Pflanzendecke Deutschlands.

I. Über das Vorkommen von Carex ornithopoda Willd. und Carlina acaulis L. im Nord-Saale-Unterbezirke

von

Dr. August Schulz.

1. Carex ornithopoda Willd.

Carex ornithopoda wächst in zahlreichen Strichen des Süd-Saale-Unterbezirkes!)*) in einigen davon in recht bedeutender Verbreitung bis zur Gegend von Kösen (z. B. an Abhängen zwischen Kösen und der Rudelsburg) und Pforta an der Saale (z. B. an Abhängen dieht oberhalb des Gartens von Pforta, sowie in der Nähe der Kohlenstrafse), bis zur unteren Unstrut bei Freiburg (an mehreren Stellen) und Nebra (an Abhängen zwischen Grockstedt und Schmon), bis zum Gypsgebiete des Kiffhäusergebirges (an mehreren Stellen) sowie bis zum südlichen Gypssaume des Harzes bei Nord- hausen (an mehreren Stellen, nach Osten bis zum Alten Stolberg), Ellrieh und Walkenried nach Norden hin, und zwar, wie es scheint, ausschlie[slieh auf trockenem ursprünglichem Boden (Fels und Felsdetritus vorquartärer Formationen, hauptsächlich Muschelkalk und kalkreichen Gesteinen der Zechsteinformation)?).

Im Nord-Saale-Unterbezirke ist Carex ornithopoda erst im vorigen Jahre (1904), und zwar unmittelbar an der Östgrenze im Fuhnetale®) bei Zehmitz unweit von Radegast

*, Die Anmerkungen sind am Ende der Abhandlung (S 68 [18] u. f.) zusammengestellt.

4*

52 Dr. August Schuuz, [2]

nördlich von Zörbig, durch Aug. ZoBEL?) aufgefunden worden?) Sie wächst hier nieht wie im Süd - Saale-Unterbezirke auf Fels und Felsdetritus vorquartärer Formationen, sondern auf einer quartären Bodenart, nämlich auf dem Alluvium der Fuhne. Die eine der beiden Fundstellen®) ist ein dieht an der Fuhne gelegenes kleines Gehölz aus Espen, Weiden, Eschen usw., welches zwei feuchte Wiesen einschlielst. Auf diesen Wiesen wächst Carex ornithopoda, doch fast nur an solehen Stellen, die im Schatten von Bäumen und Sträuchern liegen. Die westliche der beiden Wiesen besitzt einen ziemlich lockeren, sehr humosen schwarzen —, kalk- reichen Boden, welcher an denjenigen Stellen, an denen Carex ornithopoda wächst”), einen stellenweise dichteren, stellenweise weniger diehten, zur Blüte- und Fruchtzeit von Carex ornithopoda noch niedrigen, aus: Ophioglossum vul- gatum L., Equwisetum palustre L., (viel) Anthoxanthum odo- ratum L., Holcus lanatus L., Briza media L. (viel), Poa pratensis L., Dactylis glomerata L., Festuca elatior L., Carex panicea L., ©. ornithopoda Willd., Colchieum auctumnale L.. Ranunculus acer L., Filipendula Ulmaria (L.), Linum cathar- ticum L., Polygala amara L., Aegopodium Podagraria L., Pimpinella magna L., Silaus pratensis (Crantz) (viel), Dellis perennis L., Cirsium oleraceum (L.) (viel), Leontodon hastilis L. (viel), Crepis paludosa (L.), Galium boreale L. (stellen- weise viel), Valeriana dioica L. und einigen anderen Gefäls- pflanzen) gebildeten Rasen trägt.”) (arex ornithopoda bildet entweder kleine Horste, oder bedeckt, oft recht dicht, gröfsere bis über | |m grofse Flecke fast allein. Sie ist recht üppig; ihre Blätter sind zur Fruchtzeit!®) vielfach länger als die Halme sie sind bis gegen 15 em lang —., aber meist nicht gerade aufwärts gerichtet, sondern wie die Halme mehr oder weniger stark bogig gekrümmt. Die öst- liehe kleinere Wiese besitzt einen helleren, weniger humosen Boden. Auf ihr wächst Carex ormithopoda vor- züglich am schattigen Ostrande; auf den weiter vom ÖOst- rande entfernten Partien, die eine üppigere Pflanzendecke besitzen als die östliche Randpartie und die westliche Wiese, tritt Carex ornithopoda nur vereinzelt auf. Aufserdem wurde Carex ornithopoda von ZOBEL noch auf einer nordwestlich

[3] Studien über die phanerogame Flora etc, 59

von diesem Gehölze gelegenen Wiese gefunden. Diese zweite Fundstelle, welehe offenbar nicht im Sehatten von Bäumen oder Sträuchern liegt, habe ich leider nicht gesehen.

Nördlich und!!) nordöstlich vom Saalebezirke ist Carex ornithopoda in Deutschland nicht beobachtet worden. Östlich vom Saalebezirke wächst sie in der Nähe der Weilsen Elster bei Gera, Langenberg und Eisenberg. Weiter im Osten !?) fehlt sie in Deutschland. Dagegen wächst sie jenseits der deutschen Ostgrenze in Galizien, sowie in einigen Gegenden des nördlieheren Rufslands: in den Ostseeprovinzen (Kurland, Livland, Estland), in Südwest-Finnland (Aland, Gegend von Abo), sowie in den Gouvernements Witebsk, Pskow, St. Peters- burg, Tula!3), Twer und Wologda!%).

Westlich vom Saalebezirke wächst Carex ornithopoda im Oberweserbezirke !5), und zwar vorzüglich in dessen öst- licehem Teile: im Herzogstume Meiningen (an zahlreichen Stellen), in der preufs. Grafschaft Henneberg (in ziemlicher Verbreitung), im Ringgaue, im Düne, Ohmgebirge und Eichs- felde bis zur Werra bei Allendorf und Witzenhausen (in ziemlicher Verbreitung), sowie in dem sich im Norden an diese Berggegenden anschliefsenden Hügellande bei Göttingen (an mehreren Stellen), Dransfeld, Northeim, Stadt- oldendorf und Duingen!%); weiter im Westen wurde sie im Oberweserbezirke nur bei Fulda, Hünfeld und Rotenburg (bei letzteren beiden Orten an mehreren Stellen), sowie an der Grenze bei Gielsen !7) beobachtet.

Zwischen der Westgrenze des Oberweserbezirkes, der Nordgrenze des Maingebietes westlich von der Wetter, dem Kamme des Rheingaugebirges und dem Niederrheine (vom Niederwalde ab) scheint Carex ornithopoda aufser bei Gielsen!”) nur an der Nister, einem Nebenflusse der Sieg '!°), beobachtet worden zu sein.

In dem nördlieh vom Oberweserbezirke gelegenen Teile Deutschlands, sowie in den sich an diesen im Westen bis zum Rheine hin anschliefsenden Striehen Deutschlands und der Niederlande wurde Carez ornithopoda bis jetzt nieht beobachtet.

In der Osthälfte des südlich des Kammes der nördlichen Randgebirge Mährens und Böhmens, der Nordgrenze des

54 Dr. AuGusT ScHULz, [4)

Maingebietes sowie des Kammes des Taunus und des Rhein- gaugebirges gelegenen Teiles Mitteleuropas 1?) ist Carex orni- thopoda wenig verbreitet. Sie wächst hier nur in den nördlich der Alpen gelegenen Strichen Nieder- und Ober- Österreichs; in Mähren (nebst österreich. Schlesien) und Böhmen fehlt sie vollständig. In der Westhälfte jenes Ge- bietes ist sie weiter verbreitet. Sie wächst in dieser vor- züglich auf der schwäbisch-bayrischen Hochebene, in Baden, in der hessischen Provinz Starkenburg, sowie im Schwäbischen und Fränkischen Jura. Dagegen scheint sie in den Main- gegenden??) wenig verbreitet zu sein; doch wächst sie noch jenseits des Mains bei Eppstein, Wiesbaden und Östrich.

Westlich vom Rheine wächst Carex ornithopoda im Rheingebiete strichweise im Elsafs, in weiterer Verbreitung in Deutsch- und Französisch-Lothringen, im südliehen Teile der Pfalz, in der angrenzenden Rheinprovinz bei Saarbrücken, in Luxemburg sowie bei Oppenheim am Rheine?!); weiter nördlich scheint sie im Rheingebiete zu fehlen. Im Maas- gebiete wächst sie in Frankreich und im südlichen Teile Belgiens??).

Südlich von Mitteleuropa ist Carex ornithopoda in den nördlicheren Karpaten, den Alpen und dem Jura weit ver- breitet; striehweise steigt sie sehr hoch empor, so im Wallis bis 2470 m). Zwischen den Karpaten und den Alpen be- sitzt Carex ornithopoda, wie es scheint, keine bedeutende Verbreitung.

Nördlich von Deutschland wächst Carex ornithopoda in Skandinavien, und zwar sowohl in Schweden als auch in Norwegen. Westlich von Mitteleuropa, dem Jura und den Alpen kommt sie in England?!) und in Frankreich vor. Im letzteren Lande wurde sie in der Nähe des Juras und der Alpen, aulserdem in den Departements Haute -Marne, Haute-Saöne, Oöte-d’Or, Saöne-et-Loire, Rhöne, Gard, Aveyron, Aude und Ariege in manchen von diesen nur an sehr wenigen Stellen —, sowie in den Pyrenäen?) beobachtet. In den Pyrenäen wächst Carex ornithopoda auch auf der spanischen Seite (in Catalonien und Aragonien?‘)); auf der iberischen Halbinsel wurde sie aulserdem nur in den Can- tabrischen Gebirgen beobachtet.

[5] Studien über die phanerugame Flora etc. 39

Auf der Apennin-Halbinsel wächst Carex ornithopoda in Nord- und Mittel-Italie.. Auch in einigen Strichen der Balkanhalbinsel sowie in Klein-Asien kommt sie vor.

Aus der im Vorstehenden dargestellten Verbreitung von Carex ornithopoda lälst sich sehr deutlich erkennen, dafs diese Art in den Alpen, und zwar in deren alpiner Region, entstanden ist, oder dafs wenigstens die Vorfahren ihrer sämtlichen gegenwärtigen Individuen hier wuchsen. Von den Alpen aus breitete sie sich ohne Zweifel schon während des kältesten Abschnittes der vorletzten grolsen Ver- gletscherungsperiode??) ?®) aus; offenbar gelangte sie schon im Ausgange dieses Zeitabschnittes nach Skandinavien?) und wohl auch nach den Britischen Inseln. Während der auf die vorletzte grolse Vergletscherungsperiode folgenden Zeit der Ablagerung des sog. jüngeren Lösses, während weleher in Europa bis weit nach Norden hin in den niedrigeren Gegenden ein für sie, deren Individuen im Be- . ginne dieser Zeit ohne Zweifel sämtlich eine solehe klima- tische Anpassung besalsen, wie sie gegenwärtig die in den höheren Regionen der Hochgebirge lebenden von ihren In- dividuen besitzen, sehr ungünstiges Klima herrschte, verlor sie den gröflsten Teil ihres bisherigen Areales wieder. Sie blieb damals wahrscheinlich nur in den Pyrenäen, im Jura, in den Alpen3%) sowie in Skandinavien und auf den Bri- tischen Inseln erhalten. In Skandinavien palste sie sich damals ohne dabei ihr äulseres Aussehen zu verändern fest an feuchten Boden an. Im Beginne des kältesten Abschnittes der letzten grolsen Vergletscherungsperiode wanderte sie, und zwar wahrscheinlich .allein die an feuchten Boden angepalste Form, aus Skandinavien nach Süden. Während des Höhepunktes dieses Zeitabschnittes wuchsen wahrscheinlich sowohl im norddeutschen Tieflande als auch im angrenzenden Teile Rufslands Nachkommen der skandinavischen Einwanderer:'); doch war Carex orni- thopoda damals wahrscheinlich in keinem der beiden Ge- biete weit verbreitet. Im Ausgange des kältesten Abschnittes der letzten gro[sen Vergletscherungsperiode kehrte diese Form von Carex ornithopoda nach Skandinavien zurück und breitete sich in diesem Lande von neuem aus; doch erwarb

56 Dr. August ScHurz, [6]

sie sich in ihm wohl nieht wieder ein so umfangreiches Areal wie sie es ih ihm beim Beginne dieses Zeitabschnittes be- sessen hatte3?). Während der ersten heilsen Periode, vor- züglich während deren trockensten Abschnittes, ging ein grolses Stück dieses skandinavischen Areales wieder ver- loren. Carex ornithopoda pafste sich aber während des Höhepunktes dieses Abschnittes, und zwar an verschiedenen Stellen in verschieden hohem Grade, an höhere Sommer- wärme an?) und breitete sich darauf während des letzten Teiles dieser Periode, strichweise recht bedeutend, von neuem aus®®). Aus Norddeutschland und dem angrenzenden Teile Rulslands verschwand Carex ornithopoda nach dem kältesten Absehnitte der letzten grolsen Vergletscherungsperiode und der Zeit des Bühlvorstolses, vorzüglich während des ersten Teiles des trockensten Abschnittes der ersten heifsen Periode, fast vollständig. In Rufsland blieb sie während des Höhepunktes dieses Zeitabschnittes vielleicht nur an einer einzigen Stelle erhalten, an der sie sich damals aber . an höhere Sommerwärme anpalste35) und von der aus sie sich darauf von neuem ausbreitete3‘) 37); aus Norddeutsch- . land verschwand sie damals vielleicht vollständig. Auf den Britischen Inseln lebte Carex ornithopoda während des Höhe- punktes der letzten grolsen Vergletscherungsperiode vielleicht nur im südlicheren England. Im Ausgange des kältesten Ab- schnittes dieser Periode wanderte sie wieder nach Norden, doch breitete sie sich wahrscheinlich nicht bedeutend aus. In der Folgezeit büfste sie ihr britisches Areal fast vollständig ein; gegenwärtig scheint sie nur im nördlichen England (in unbedeutender Verbreitung)38) vorzukommen.

Während des kältesten Abschnittes der letzten gro[sen Vergletscherungsperiode wanderte Carex ornithopoda in Deutschland nieht nur aus Skandinavien, sondern auch von Süden her, aus dem Jura und den Alpen, in deren höheren Regionen sie beim Beginne dieses Zeitabschnittes wahr- scheinlich verbreitet war, ein. Sie drang östlich vom Rheine offenbar ausschlielslich durch das deutsche Donaugebiet und das Maingebiet nach Norden vor, wanderte aus dem Main- gebiete in den Oberweserbezirk und aus diesem in den Saalebezirk ein. In diesem gelangte sie wie zahlreiche

[7] Studien über die phanerogame Flora ete. 97 ihrer Wandergenossen 39) bis zur Zechsteinzone des Süd- harzes‘%). Über den Südharz hinaus scheint sie jedoch nicht vorgedrungen zu sein). Wie weit sie damals im Ober- weserbezirke nach Norden vordrang, das läfst sich nicht sagen. Im Verlaufe des ersten Teiles der ersten heilsen Periode verschwand sie aus dem Saalebezirke fast voll- ständig; während des Höhepunktes des trockensten Ab- schnittes dieser Periode lebte sie?) in ihm wahrscheinlich nur noch an einigen Stellen der höheren Berggegenden mit kalkreichem Boden im Süden in der Nähe des Thüringer- waldes, des Berglandes im Westen #3) und der Gypszone des Südharzes. Sie palste sich damals an diesen Erhaltungs- stellen an höhere Sommerwärme an und breitete sich darauf während des letzten Teiles der ersten heilsen Periode von ihnen mehr oder weniger weit aus‘!). Von ihrem Erhaltungs- gebiete im Süden her drang sie, zusammen mit einer An- zahl anderer phanerogamer Arten#), die sich gleichzeitig mit ihr in diesem Gebiete an höhere Sommerwärme ange- palst hatten, längs der Ilm und hauptsächlich längs der Saale nordwärts bis zur Gegend von Sulza, Kösen und Naumburg (Pforta) vor. Aus dieser Gegend wanderte sie wie zahl- reiche andere Phanerogamen in die Gegend der unteren Unstrut4%) ein?) In dieser gelangte sie unstrutaufwärts wahrscheinlich nicht über die Gegend von Nebra (Muschel- kalkgebiet von Grockstedt und Schmon) hinaus.48)49) Sie drang auch wahrscheinlich weder im Saaletale über die Unstrutmündung hinaus vor, noch aus dem Unstruttale über die Wasserscheide hinweg in das Gebiet der Geisel und das der Salzke ein. Die Ursache der unbedeutenden Ausbreitung von Carex ornithopoda in diesem Striche des Saalebezirkes lälst sich leicht erkennen. Carex ornithopoda hat sich ohne Zweifel während des Höhepunktes des troekensten Abschnittes der ersten heilsen Periode an ihren Erhaltungsstellen in den Berggegenden im südlichen Teile des Bezirkes so fest an stark kalkhaltigen ursprünglichen (Fels- und Felsdetritus-) Boden angepalst, dafs sie während keines Abschnittes der seitdem verflossenen Zeit auf anderem Boden zu wachsen im Stande war.) In der Gegend der unteren Unstrut 4%) westlich von Nebra5!) und vor allem nördlich

58 Dr. AuGuUST ScHuLz, [8]

von der Gegend der unteren Unstrut52) sind aber die Ört- lichkeiten mit kalkreichem ursprünglichem Boden durch weite Striehe mit kalkarmem ursprünglichem Boden oder sogar mit Diluvialboden, auf welchen Böden Carex ornitho- poda 52), wie soeben gesagt wurde, weder gegenwärtig wachsen kann, noch während irgend eines Absehnittes der seit dem Höhepunkte des trockensten Abschnittes der ersten heilsen Periode verflossenen Zeit5t) wachsen konnte, über welche sie, da sie nur schrittweise und in kleinen Sprüngen zu wandern im Stande ist, also nicht hinweg- gelangen konnte, von einander getrennt. 55) 56)

Auch auf dem Gypse des Südharzes breitete sich Carex ornithopoda wie zahlreiche andere Phanerogamen mit ähnlicher klimatischer Anpassung 5’) während des letzten Teiles der ersten heifsen Periode aus. Sie hatte sich hier aber so fest an den Gypsboden angepalst, dals sie nicht von ihm auf Böden anderer Art übersiedeln konnte,:®) oder dals sie sich doch auf solehen nicht dauernd anzusiedeln vermochte).

Viel weiter konnte sie sich damals von ihren Erhaltungs- stellen im westlichen Teile des Saalebezirkes und im an- grenzenden Teile des Oberweserbezirkes her ausbreiten. Von diesen Stellen her drang sie nach Osten hin bis zum östlichen Teile der Hainleite und nach Norden hin unge- fähr bis zum 52. Breitenkreise, also weit über die Breite der unteren Unstrut hinaus, vor.6%) Sie konnte im Westen deshalb soweit nach Norden vordrinugen, weil hier ihre Er- haltungsstellen weit im Norden, ungefähr in der Breite der unteren Unstrut, oder etwas nördlich von dieser, lagen, und weil hier aufserdem bis weit nach Norden hin Örtlichkeiten mit kalkreichem Boden fast ohne Unterbrechung aufeinander- folgen. 6)

Während der auf die erste heilse Periode folgenden ersten kühlen Periode verkleinerte sich ohne Zweifel das Areal von Carex ornithopoda im Saalebezirke und im Ober- weserbezirke. Es vergrölserte sich darauf während der zweiten heifsen Periode?) von neuem und erfuhr dann während der zweiten kühlen Periode eine nochmalige Ver- kleinerung. Genaueres lälst sich über den Umfang dieser

[9] Studien über die phanerogame Flora ete. 59 Änderungen der Arealgröfse nicht sagen.®) In der Jetzt- zeit hat Carex ornithopoda sich wohl nur sehr unbedeutend ausgebreitet, durch Kultureinflüsse aber wahrscheinlich einen recht bedeutenden Teil ihres bisherigen Areales verloren. Wie vorhin gesagt wurde, kommt Carex ornithopoda im Saalebezirke aber nieht nur im Süden bis zur unteren Unstrut und zum Südharze hin, sondern auch eine ziemliche Streeke weit nördlich von der Unstrutmündung, im Fuhne- tale bei Zörbig, vor. Wann, woher und auf welche Weise sie an diese Örtliehkeit, an der sie eine wesentlich andere Bodenanpassung besitzt als im Süd-Saale-Unterbezirke, ge- langt ist, das lälst sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Es ist m. E. nicht ausgeschlossen, dafs die Individuen des Fuhnetales von skandinavischen Einwanderern der letzten gsrolsen Vergletscherungsperiode abstammen. Es haben sich vielleicht Nachkommen der skandinavischen Einwanderer während des Höhepunktes des trockensten Abschnittes der ersten heilsen Periode irgendwo im norddeutschen Tieflande ®*) erhalten und an höhere Sommerwärme angepalst, darauf bis zur Fuhne ausgebreitet und dann ausschliefslich an dieser 6) erhalten.6%) Ich halte es jedoch für wahrschein- lieher, dafs die Individuen des Nord - Saale - Unterbezirkes von Individuen des Süd-Saale-Unterbezirkes abstammen und von Süden her eingewandert sind, dafs sich (arex ornithopoda wie manche andere Arten6”) während des trockensten Abschnittes der ersten heifsen Periode, nachdem sie sich an höhere Sommerwärme angepalst hatte, im Süd -Saale-Unterbezirke auf Flulsalluvium 6%) angesiedelt und vollständig an dasselbe angepalst hat, #°) dals sie darauf sich in Stromtälern, vielleicht zum Teil mit Hilfe des strömenden Wassers, also sprungweise,‘%) ausge- breitet hat und dabei auch in das Fuhnetal gelangt ist, und dafs sie sich später, während der ersten kühlen Periode, als die Verhältnisse in den Stromtälern für sie sehr ungünstig wurden, nur im Fuhnetale’?!) erhalten hat. Allerdings wohl nicht an ihren heutigen Wohnstätten in diesem, sondern an einer höher gelegenen Örtlichkeit mit kalkreichem Untergrunde am Rande des Tales?2), von der aus sie erst nach der ersten kühlen Periode an ihre heutigen Wohnstätten gelangt ist.'3) 7%)

60 Dr. August ScHuLz, [10]

Carex ornithopoda besitzt hinsichtlich ihrer Verbreitung und ihrer Geschichte viele Ahnlichkeit mit Sesleria coerulea (L.).”5) Auch diese ist in den Alpen entstanden. Sie breitete sich aber wohl schon während des kältesten Abschnittes der drittletzten grofsen Vergletscherungsperiode von den Alpen her aus und gelangte wahrscheinlich bereits im Ausgange dieses Zeitabschnittes nach Skandinavien. Hier pafste sie sich in der folgenden Interglazialzeit fest an feuchten Boden an und erfuhr dabei eine wesentliche Änderung ihres äulseren Aussehens. Die neue Form, Sesleria uliginosa Opiz, wanderte im Beginne des kältesten Abschnittes der vorletzten grolsen Vergletscherungsperiode nach dem Süden und breitete sich im Verlaufe dieses Zeitabschnittes wahrscheinlich weit in Deutschland aus. Im Ausgange dieses Zeitabschnittes kehrte sie nach Skandinavien zurück; gleichzeitig gelangte sie aber auch ebenso wie die ursprüngliche, an Fels- und Fels- detritus-Boden angepalste Form, Sesleria varia (Jacq.) nach den Britischen Inseln sowie in die Alpen. Während der folgenden Zeit der Ablagerung des sog. jüngeren Lösses verschwand sie wahrscheinlich vollständig aus Deutschland. Auch die ursprüngliche Form, Sesleria varia, die sich während des kältesten Abschnittes der vorletzten grofsen Ver- gletscherungsperiode in Deutschland weit ausgebreitet hatte, verschwand während der Zeit der Ablagerung des jüngeren Lösses aus Deutschland wieder vollständig. Im Beginne des kältesten Abschnittes der letzten grofsen Vergletscherungs- periode wanderte Sesleria uliginosa von neuem aus Skan- dinavien in Deutschland ein, doch breitete sie sich während dieses Zeitabschnittes in Deutschland und im angrenzenden Teile Rufslands wohl nicht bedeutend aus. In der Folge- zeit verschwand sie aus diesem Gebiete fast vollständig; während des Höhepunktes des troekensten Abschnittes der ersten heilsen Periode lebte sie in ihm wohl nur noch an wenigen Stellen. Sie pafste sich damals an diesen Stellen an höhere Sommerwärme an und breitete sich dann von ihnen, und zwar in Rufsland ziemlich bedeutend, in Deutsch- land dagegen nur wenig,’‘) aus. Ihr dureh diese Ausbreitung erworbenes deutsches Areal verlor sie in der Folgezeit fast vollständig; sie scheint nur bei Freienwalde an der Oder

[11] Studien über die phanerogame Flora ete. 61

einmal?”) beobachtet worden zu sein. Im Ausgange des kältesten Abschnittes der letzten grofsen Vergletscherungs- periode kehrte Sesleria uliginosa nach Skandinavien, aus dem sie im Verlaufe dieses Zeitabschnittes wahrscheinlich ganz geschwunden war, zurück. Sie erhielt sich in Skan- dinavien bis zur Gegenwart.’8)79) Auf den Britischen Inseln erhielt sie sich seit dem Ausgange des kältesten Abschnittes der vorletzten grolsen Vergletscherungsperiode;8%) auch Ses- leria varıa blieb auf diesen Inseln erhalten.s!) Sesleria uli- ginosa drang in Mitteleuropa während des kältesten Ab- schnittes der letzten grofsen Vergletscherungsperiode nicht nur aus Skandinavien, sondern auch aus den Alpen ein. Wie weit nach Norden diese letzteren Einwanderer gelangt sind, das läfst sich nieht sagen; gegenwärtig wachsen sie, wie es scheint, nur auf der schwäbiseh-bayrischen Hoch- ebene einschl. des Bodenseegebietes —, in Ober- und Niederösterreich sowie in Böhmen.s?) Gleichzeitig mit Ses- leria uliginosa drang auch Sesleria varıa von Süden her in Mitteleuropa ein. Sie wanderte wie Carex ornithopoda und wohl vielfach in deren Gesellschaft durch das deutsche Donaugebiet und das Maingebiet nach dem Oberweserbe- ziıke und aus diesem nach dem Saalebezirke. Im Saale- bezirke gelangte sies3) bis zur Gegend der oberen Bode im Harze.st) Ihr Areal im Saalebezirke erfuhr dann eine ähn- liche Verkleinerung wie das von Carex ornithopoda. Sie blieb wie diese Art in den höheren Kalkbergen in der Nähe des Thüringer Waldes, in der aus dem Eichsfelde, „dem Düne und dem Ohmgebirge bestehenden Berglandschaft im westlichen Teile des Bezirkes und im angrenzenden Teile des Oberweserbezirkes sowie in der Gypszone des Süd- harzes erhalten. Aufserdem erhielt sie sich aber auch in der Gegend der oberen Bode im Harze und wohl auch auf dem Gypse des Kiffhäusergebirges. Sie pafste sich an ihren Erhaltungsstellen an höhere Sommerwärme an und breitete sich darauf von ihnen mehr oder weniger weit aus. Bei dieser Ausbreitung überschritt die Individuengruppen- reihe der oberen Bodegegend nicht die Grenze des Harzes ;$5) die Individuengruppenreihe der Gypszone überschritt dagegen wahrscheinlich den Harzrand und siedelte sich im Kiffhäuser-

62 Dr. Avaust Scaurz, [12] gebirge, in dem, wie vorhin gesagt wurde, die Art wohl be- reits lebte, dauernd an. Von Süden und Westen her breitete sich Sesleria varia damals im Bezirke weit aus. Von Süden her drang sie auf denselben Wegen wie Carex ornithopoda nach Norden vor. Wie diese gelangte sie bis zur Gegend von Sulza, Kösen und Naumburg, aus der sie in die Gegend der unteren Unstrut®6) einwanderte; wie Carex ornithopoda und aus denselben Ursachen”) wie diese ist sie hier nicht über die Gegend von Nebra (Karsdorf Steigra Schmon), und an der Saale nieht über die Unstrutmündung hinaus vor- gedrungen. Doch gelang es ihr, die Wasserscheide zwischen der Unstrut und den Gebieten der Geisel und Salzke zu überschreiten und in diese Gebiete einzudringen.s°) In das Salzkegebiet ist sie, und zwar vielleicht ausschliefslich, aus der Gegend von Sehmon über Thaldorf (bei Querfurt), Gatter- stedt und Farnstedt eingewandert.®)) Gegenwärtig scheint sie im südlichen Teile des Salzkegebietes bis nach den Mansfelder Seen hin nur zwischen der Strafse Querfurt- Lodersleben und Gatterstedt sowie bei Farnstedt auf unterem Muschelkalk vorzukommen. Früher wuchs sie jedoch zweifellos auch im Weidatale. Aus diesem ist sie entweder schon während der ersten kühlen Periode oder wahrscheinlicher erst während des Höhepunktes des troekensten Abschnittes der zweiten heifsen Periode, während welcher Zeitabsehnitte für sie in diesem Tale, dessen Hänge aulser aus Diluvium fast nur aus mittlerem und oberem Muschelkalk bestehen, zweifellos die Bodenverhältnisse sehr ungünstig waren,') verschwunden. Aus dem Salzkegebiete, und zwar aus der Gegend von Lieskau, wanderte sie nach der Zechsteinpartie bei Neu-Rakoezy®!) an der Saale, einige Kilometer oberhalb der Salzkemündung —, und von dieser wanderte sie nach der gerade über auf dem anderen rechten Ufer der Saale gelegenen Zechsteinpartie bei Brachwitz.2) Über die Salzkemündung hinaus scheint sie nicht gelangt zu sein.®) Von ihren Erhaltungsstellen im Westen her ist Sesleria varia tief in den Saalebezirk hinein und offenbar weit nach Norden hin vorgedrungen. Es läfst sich jedoch nieht sagen, wie weit sie nach Norden gelangt ist, da sie sich auch nördlich vom Fichsfelde und Ohm-

[13] Studien über die phanerogame Flora ete. 63

gebirge etwa im Süntel, wo sich auch andere Arten, die gleichzeitig und zusammen mit ihr in Mitteleuropa und in den Oberweserbezirk eingewandert sind, erhalten zu haben scheinen‘) erhalten, neu angepalst und dann von neuem ausgebreitet haben kann. Von der Leine her ist sie, wie schon gesagt wurde, vielleicht längs des Nordrandes des Harzes bis zur Westgrenze des Saalebezirkes bis zum Okertale vorgedrungen.’5)

2: Carlina acaulis L.

Carlına acaulis besitzt im Nord-Saale-Unterbezirke nur eine unbedeutende Verbreitung. Bis vor wenigen Jahren war sie nur aus dessen südlichstem Teile, aus dem Salzke- Weidagebiete,%6) bekannt; dann wurde sie aber auch weiter im Norden, im Unterharze, aufgefunden, und zwar zuerst von ALFRED KALBERLAH bei Harzgerode°’) und darauf von KURT WEIN®) bei Wippra 9) 100).

Dagegen ist Carlina acaulis im Süd-Saale-Unter- bezirke weit verbreitet; in manchen seiner Striehe mit kalkreichem Boden tritt sie in sehr grolser Individuenanzahl auf. Am häufigsten ist sie in seinem südlichem Teile bis zur Gegend von Eisenach, Gotha, Erfurt, des Ettersberges, von Kösen, Naumburg und Weilsenfels (Goseck) nach Norden hin!%l), sowie in seinem westlichen Teile 102) nach Norden hin bis zur Gegend von Bleieherode und zum Ohmgebirge bis zum Rande des zentralen Keuperbeckens und zum west- liehen Teile der Hainleite einschlielslich dieses nach Osten hin. Im übrigen Teile des Unterbezirkes ist sie weniger verbreitet: Sie fehlt weiten Strichen des zentralen Keuper- beckens vollständig. Dagegen ist sie in der Finne und Sehmücke auf kalkreichem Boden häufig. In der Gegend der unteren Unstrut wächst sie an zahlreichen Stellen von der Saale bis zur Gegend von Bibra, Burgscheidungen und Karsdorf ob auch noch weiter? nach Westen bin. Dem südliehen Harzrande scheint sie vollständig zu fehlen.!") Im Kiffhäusergebirge besitzt sie eine sehr unbedeutende Verbreitung, im Gypsgebiete desselben scheint sie nicht vor- zukommen!%). Auch im östlichen Teile der Hainleite und in der Windleite ist sie recht selten.

64 Dr. August Scuurz, [14]

Die Art der Verbreitung von Carlina acaulis im Saale- bezirke sowie im übrigen Mitteleuropa und aufserhalb Mittel- europas lälst aufs deutlichste erkennen, dafs Carlina acaulis in Mitteleuropa während des kältesten Abschnittes der letzten grofsen Vergletscherungsperiode und während des Zeit- absehnittes des Bühlvorstofses eingewandert ist, damals bis zum Saalebezirke vorgedrungen ist und sich damals in diesem dauernd angesiedelt hat. Aufserdem ist sie in Mittel- europa sicher aber auch während des troekensten Abschnittes der ersten heilsen Periode eingewandert und zu dauernder Ansiedlung gelangt; es ist m. E. jedoch recht wahrscheinlich, dals sie während dieses Zeitabsehnittes nieht über die süd- östlichen Gegenden Mitteleuropas hinaus vorgedrungen ist.!%) Das umfangreiche Areal, welches sie gegenwärtig im östlichen Teile Mitteleuropas östlich von der Elbe und im an- grenzenden Teile Osteuropas zwischen den Sudeten und Karpaten sowie der Ostsee1%) besitzt, hat sie sich zwar im wesentlichen während des trockensten Absehnittes der ersten heilsen Periode und während des trockensten Absehnittes der zweiten heifsen Periode erworben; sie ist jedoch in diesen Landstrich schon während des kältesten Absehnittes der letzten grofsen Vergletscherungsperiode und während der Zeit des Bühlvorstofses1%) eingewandert, hat sich in ihm während dieser beiden Zeitabschnitte10) wahr- scheinlich weit ausgebreitet, hat darauf bis zum Höhe- punkte des trockensten Absehnittes der ersten heilsen Periode den grölsten Teil ihres Areals in ihm wieder eingebülst, hat sich während dieser Zeit an einer Anzahl ihrer Erhaltungs- stellen in ihm!%) an höhere Sommerwärme angepalst und sich dann von diesen aus von neuem ausgebreitet. Ihr Areal im östlichen Teile Mitteleuropas nnd im angrenzenden Teile Osteuropas weicht durchaus ab von dem sicherer ausschliefslicher 110%) Ansiedler des troekensten Abschnittes der ersten heilsen Periode, gleicht dagegen im wesentlichen dem zahlreicher sieherer ausschliefslieher Ansiedler der letzten grofsen Vergletscherungsperiode 11).

Während des kältesten Abschnittes der letzten grolsen Vergletscherungsperiode und während des Zeitabschnittes des Bühlvorstofses drang Carlina acaulis in Mitteleuropa

[15] Studien über die phanerogame Flora ete. 65

wahrscheinlich sowohl aus den Karpaten als auch aus den Alpen ein. Sie wanderte während dieser beiden Zeitab- sehnitte südwestlich und westlich von Böhmen durch das Donau- und das Maingebiet bis zum Oberweserbezirke !'2) und drang aus diesem in den Saalebezirk ein!!3), doch ge- langte sie in letzterem damals!!4) wahrscheinlich nieht bis zum Harze. Gleichzeitig drang sie aber auch weiter im Osten nordwärts vor; sie wanderte durch den Obersäch- sischen Bezirk hindurch und in den Saalebezirk ein und drang in dessen östlichem Teile bis zum Harze vor!'). In der Folgezeit bis zum Höhepunkte des troekensten Absehnittes der ersten heilsen Periode verlor sie den gröfsten Teil ihres Areales im Saalebezirke. Sie blieb wohl nur an einigen Stellen der höheren Gegenden mit kalkreichem Boden im südlichen und westlichen Teile des Bezirkes!!6) sowie an einer Stelle im Unterharze erhalten. An diesen Erhaltungs- stellen pafste sie sich während des Höhepunktes des trockensten Abschnittes der ersten heilsen Periode derartig an höhere Sommerwärme an, dals sie während des letzten Teiles dieser Periode im Stande war, sich von denselben aus mehr oder weniger weit auszubreiten. Am weitesten breitete sie sich im Bezirke von Süden her aus. Sie gelangte von Süden her wie Carex ornithopoda durch die Saale- und Ilmgegend bis zur Ilm- und Unstrutmündung, und drang von hier in die Finne und Schmücke sowie in die Gegend der unteren Unstrut ein. Aus letzterer gelangte sie wohl schon damals in das Salzke-Weidagebiet!!”). Wie weit sich Carlına acaulis von ihren Erhaltungsstellen im westlichen Teile des Saalebezirkes und im angrenzenden Teile des Oberweserbezirkes ausgebreitet hat, das lä/st sich nieht sagen. Es ist nicht ausgeschlossen, dafs sämtliche Individuen des nördlicheren Teiles des Oberweserbezirkes Carlina acau- is wurde in diesem bis zur Gegend von Goslar, Hildesheim, Hameln, t!$) Moringen, Hardegsen, Dransfeld, Gudensberg und Homberg beobachtet von neuangepafsten Individuen jenes Erhaltungsgebietes abstammen!!9). Ich halte es jedoch für wahrscheinlicher, dals sich Carlina acaulis auch weiter nördlich, etwa am Harzrande, an einer Stelle!2%) erhalten, an dieser neu angepalst und dann von ihr aus ausgebreitet Zeitschrift f. Naturwiss. Bd. 78. 1906. 5

66 Dr. August SCHULZ, [16]

hat, und dafs die nördliehsten Individuen des Oberweser- bezirkes von diesen neu angepalsten Individuen abstammen. Hierfür spricht m. E. der Umstand, dafs sie sich im Saale- bezirke von Westen her nur recht wenig ausgebreitet hat, und vor allem, dafs sie sich nicht am südlichen Harzrande angesiedelt hat. Es ist allerdings die Gypszone des Süd- harzes von dem westlichen Erhaltungsgebiete der Art durch ein breites Buntsandsteingebiet getrennt, und es ist möglich, dafs die Art, die hier vielleicht fest an kalkreicehen Boden angepalst ist und war, über dieses Buntsandsteingebiet nicht hinweg zu gelangen vermochte. Es ist aber auch möglich, dafs ihr Fehlen am Harzrande darin seine Ursache hat, dals sie Gypsboden nicht zu bewohnen vermag oder während der beiden heifsen Perioden nieht zu bewohnen vermochte; ihr Fehlen im Gypsgebiete des Kiffhäusergebirges spricht sehr für diese Vermutung!?!). Wo sich Carlina acaulıs im Unterharze erhielt und an höhere Sommerwärme anpalste, das läfst sich nieht sagen; wahrscheinlich fand dies aber nieht an einer ihrer beiden heutigen Wohnstätten in diesem Gebirge statt. Ebenso lälst es sich nicht sagen, ob Carlına acaulis nach ihrer Neuanpassung an höhere Sommerwärme aus dem Unterharze in die vorliegenden niedrigeren Striche einwanderte!??). Es ist m. E. nicht ausgeschlossen, dafs die gegenwärtig im nördlichen Teile des Kiffhäusergebirges lebenden Individuen von Carlına acaulis Nachkommen von Einwanderern aus dem Unterharze. sind, doch können sie auch von Einwanderern aus dem Süden, aus dem östlichen Teile der Hainleite, oder dem westlichen Teile der Schmücke, abstammen !2). Während der auf die erste heilse Periode folgenden ersten kühlen Periode verlor Carlına acaulis ohne Zweifel einen Teil ihres Areales im Saalebezirke; auch in der Gegend zwischen der unteren Unstrut und den Mans- felder Seeen, in welcher damals sicher strichweise die Boden- verhältnisse für sie ungünstig waren !24), verminderte sich zweifellos die Anzahl ihrer Individuen. Während des ersten Teiles der zweiten heilsen Periode breitete sie sich in dieser Gegend von neuem aus. Während des Höhepunktes des trockensten Abschnittes dieser Periode hatte sie in ihr aber wieder schr zu leiden, und zwar nicht nur infolge der un-

[17] Studien über die plıanerogame Flora ete. 67

günstigen Bodenverhältnisse, sondern auch direkt dureh das für sie ungünstige Klima; wahrscheinlich verschwand sie damals fast vollständig aus dieser Gegend. Während des letzten Teiles der zweiten heifsen Periode scheint sie sich in ihr nur wenig ausgebreitet zu haben. Ihr durch diese Ausbreitung erworbenes Areal erfuhr wahrscheinlich während der zweiten kühlen Periode eine Verkleinerung. Auch in dem nördlichen Teile des Oberweserbezirkes nördlich vom Eichsfelde büfste Carlina acaulis während der ersten kühlen Periode einen Teil ihres Areales ein. Während der zweiten heifsen Periode vermochte sie sich in diesem Gebiete aber bedeutender auszubreiten als in der Gegend zwischen der unteren Unstrut und den Mansfelder Seeen, da in ihm sowohl die Bodenverhältnisse als auch das Klima günstiger waren als in dieser Gegend. Wie in letzterer, so büfste sie wohl auch im nördlichen. Teile des Oberweserbezirkes während der zweiten kühlen Periode einen Teil ihres Areales ein. fan der Folgezeit hat sicher sowohl im Saalebezirke mit Ausschluls des Harzes als auch im Oberweserbezirke die Kultur die Anzahl ihrer Individuen vermindert. Ihre spontane Neuausbreitung in diesen Gebieten seit dem Aus- gange der letzten kühlen Periode war wohl nur sehr un- bedeutend. Im Unterharze war Carlina acaulis am Ausgange des trockensten Abschnittes der ersten heilsen Periode ohne Zweifel wesentlich weiter verbreitet als gegenwärtig. Sie büfste dann während der ersten kühlen Periode wahr- scheinlich den gröfsten Teil ihres Areales ein und blieb nur an wenigen Stellen, zu denen wohl auch ihre beiden heutigen Wohnstätten gehören, erhalten 125).

68 Dr. August ScHuLz, [18]

Anmerkungen.

1 (51).”) Der Süd-Saale-Unterbezirk ist der eine der beiden Unterbezirke des Saale-Bezirkes. Letzterer wird begrenzt: im Osten von der Wasserscheide zwischen der Saale und der Elster vom Fichtelgebirge bis Markran- städt (bei Leipzig), sowie von einer von diesem Orte nach Leutsch (westlich von Leipzig) und weiter ungefähr parallel der Saale und Elbe über Landsberg, Zörbig, Aken und Zerbst nach Burg gezogenen Linie; im Norden von einer von Burg über Rogätz nach Kolbitz, weiter in demselben Abstande von der Ohre nach der Gegend von Calvörde, und von hier über Weferlingen nach der Wasserscheide zwischen Oker und Fuse bei Braunschweig gezogenen Linie; im Westen von der Wasserscheide zwischen dem Gebiete der Oker und dem der Fuse von der Gegend von Braunschweig ab aufwärts, weiterhin von einer vom oberen Ende dieser Wasserscheide über Salzgitter und Liebenburg nach dem Anfange der Wasserscheide zwischen den Gebieten der Oker, Bode und Helme einerseits, dem Gebiete der Leine anderer- seits im Harze gezogenen Linie, dann von letzterer Wasser- scheide selbst, darauf von der Wasserscheide zwischen den Gebieten der Helme, Wipper, Unstrut und Werra bis zur Gegend von Eschwege abwärts einerseits, dem Gebiete der Leine andererseits im Ohmgebirge, Düne und Eichsfelde, und endlich von einer von Eschwege über die Höhen des Ringgaues nach der Gegend von Herleshausen gezogenen Linie; im Südwesten und Süden von der Wasserscheide

*) Die eingeklammerte Zahl verweist auf diejenige Seite der Ab- handlung, auf welche sich die Annerkung bezieht.

[19] Studien über die phanerogame Flora ete. v9

zwischen den Saalezuflüssen und der Hörsel nebst deren linksseitigen Zuflüssen einerseits, der Werra und ihren rechts- seitigen Zuflüssen bis zur Hörsel ausschliefslich der letzteren abwärts andererseits im Thüringerwalde, sowie von der Wasserscheide zwischen der Saale und ihren Zu- flüssen einerseits, dem Maine und der Eger nebst ihren Zu- flüssen andererseits im Thüringerwalde, Frankenwalde und Fichtelgebirge.

Der Saale-Bezirk zerfällt in zwei Unterbezirke, in den Nord-Saale-Unterbezirk und den Süd-Saale- Unterbezirk. Die Grenze zwischen den beiden Unterbe- zirken beginnt an der Ostgrenze des Bezirkes etwas südlich von Lützen und verläuft von hier nach Burgwerben hei Weilsenfels, weiterhin auf der Wasserscheide zwischen den Gebieten der Geisel und Salzke einerseits, dem Gebiete der unteren Unstrut und Helme bis zur Gonna nach Westen hin andererseits, und dann an der Nordgrenze der Zechstein- gypszone des Südharzes bis zur Westgrenze des Bezirkes.

Vergl. hierzu die im Folgenden aufgeführten von meinen Schriften: Grundzüge einer Entwicklungsgeschichte der Pflanzenwelt Mitteleuropas seit dem Ausgange der Tertiär- zeit (1894) S. 116—120, 192—196; Entwieklungsgeschichte der phanerogamen Pflanzendecke des Saalebezirkes (1898) S. 1; Studien über die phanerogame Flora und Pflanzendecke des Saalebezirkes I. Die Wanderungen der Phanerogamen im Saalebezirke seit dem Ausgange der letzten kalten Periode (1902), vorzügl. die Karte; Die halophilen Phanerogamen Mitteldeutschlands, Zeitsehr. f. Naturwiss. 75. Bd. (1903) S. 257 u. f., vorzügl. die Karte.

2 (51). Sie wächst in diesem ntenhehirke vorzüglich an freien Abhängen und an Waldrändern, viel seltener im lichten Walde, und zwar in lockeren, Melon Verbänden niedriger Phanerogamen, von Moosen und Flechten. Vgl. auch z. B. BoGENHARD, Taschenbuch der Flora v. Jena (1850) S. 378: „Sonnige, grasige Anhöhen, Waldränder, auf Kalk, aber niemals in Wäldern selbst.“ Es ist somit die Angabe von ASCHERSON und GRAEBNER, Synopsis der mitteleuro- päischen Flora 2. Bd. 2. Abt. S. 162 (1903), dafs Carex or- nithopoda in Mitteleuropa ausschlielslieh „an liehten

70 Dr. August ScHULz, [20]

Stellen in Laubwäldern, besonders auf Kalk“ wüchse, nicht riehtig.

3 (51). Betreffs dieses Tales vergl. A. MÜLLER, Die hydrographische Entwicklung der Fuhneniederung, Mit- teilungen d. Vereins für Erdkunde zu Halle a. S. 1905.

4 (52). Siehe ZoBEn, Verzeichnis der im Herzogtume Anhalt und in dessen näherer Umgegend beobachteten Phanerogamen und Gefälskryptogamen, herausgegeben v. d. Vereine f. Landeskunde u. Naturwissenschaften in Dessau, 1. Teil (1905) S. 66.

5 (52). Es sind zwar mehrere, meist ältere Angaben vorhanden, nach denen Carex ornithopoda im Nord -Saale- Unterbezirke beobachtet sein soll, doch ist keine von diesen bestätigt worden; ich will auf sie hier nicht eingehen.

6 (52). Die Kenntnis der genauen Lage der beiden Fundstellen verdanke ich der Liebenswürdigkeit des Ent- deekers, Herrn Lehrers AuG. ZoBEL in Dessau.

7 (52). Carex ornithopoda wächst vorzüglich am west- lichen Rande der Wiese im Schatten der die Wiese um- gebenden Bäume und Sträucher. In gröfserer Entfernung vom Rande tritt sie nur sehr spärlich auf weiten Strichen fehlt sie vollständig —, obgleich die Pflanzendecke hier nieht von der derjenigen Stellen, an denen sie reichlich wächst, abweicht.

8 (52). Die Lücken zwischen den Gefälspflanzen sind stellenweise dichter oder weniger dicht mit Laubmoosen bedeckt.

9 (52). Stellenweise ist die Rasendecke durch Maul- würfe zerstört.

10 (52). Am 10. Juni 1905, an welchem Tage ich diese Stelle besuchte, waren die Früchte fast sämtlich schon ab- gefallen.

11 (55). D. h. nördlich des 52. Breitenkreises und öst- lich der Elbe.

12 (53). D. h. zwischen dem 52. Breitenkreise und dem Kamme der nördlichen Randgebirge Böhmens und Mährens, also vorzüglich im Königr. Sachsen und in Schlesien.

13 (55). Aber wohl nieht im Gouvernement Don, wo sie nach v. HERDER beobachtet sein soll.

[21] Studien über die phanerogame Flora ete. 1

14 (53). Nach Lepesour, Flora rossica 4. Bd. (1853) S. 290, soll sie auch im Uralischen Sibirien vorkommen.

15 (83). Vergl. betreffs dieses Bezirkes ScHhuzz, Grund- züge usw. S. 190.

16 (55). In dem zum Oberweserbezirke gehörenden Harzteile scheint sie zu fehlen.

17 (85). Nach Dosca und ScrIBA, Exeursions-Flora d. Grolsherzogtums Hessen. 3. Aufl. (1888) S. 88; ob wirklich ?

18 (55). Nach Fucker, Nassaus Flora (1856) 8. 349.

19 (54). D. h. des nördlich der Alpen gelegenen Teiles Mitteleuropas. Dieser Teil ist im folgenden kurz als Mittel- europa bezeichnet worden; vergl. betreffs dessen Grenzen SCHULZ, Entwieklungsgeschichte der phanerogamen Pflanzen- decke Mitteleuropas nördlich der Alpen (1899) S. 5—6.

20 (54). Aufser den soeben genannten Teilen desselben.

21 (54). Nach SchHuLtz, Grundzüge zur Phytostatik der Pfalz (1863) S. 167.

22 (04). Ob auch in den Niederlanden ? Vergl. hierzu Heukels, Geillustreerde Schoolflora voor Nederland (1900) S. 209.

23 (94). JAccARD, Catalogue de la Flore Valaisanne, Neue Denkschriften d. allgemeinen schweizerischen Gesell- schaft für die gesammten Naturwissenschaften 34. Bd. (1895) S. 372.

24 (54). In England wurde sie nach Warson, Topo- graphical Botany 2. Aufl. (1883) S. 468 nur in Derbyshire und Yorkshire beobachtet.

25 (54). In diesen steigt sie bis 2300 m empor; vergl. GAUTIER, Catalogue raisonne de la Flore des Pyrenees-Orien- tales 8. 428.

26 (54). In der alpinen Region.

27 (55). Betreffs der Perioden der Quartärzeit vergleiche meine neueren Schriften über die Entwieklungsgeschichte der gegenwärtigen phanerogamen Flora und Pflanzendecke des nördlicheren Europas, vorzüglich: Die Verbreitung der halophilen Phanerogamen in Mitteleuropa nördlich der Alpen (1901) 8.43 u. f.; Studien usw. I. (1902); Über die Ent- wieklungsgeschichte der gegenwärtigen phanerogamen Flora und Pflanzendecke Mitteldeutschlands, Berichte d. deutschen

72 Dr. AUGUST SCHULZ, [22]

botanischen Gesellschaft 20. Bd. (1902) S. 54 u. f.; Die Ent- wieklungsgeschiehte der gegenwärtigen phanerogamen Flora und Pflanzendecke der Schwäbischen Alb, ENnGLERS Jahr- bücher 32. Bd. (1903) S. 633 u. f.; Entwieklungsgeschichte der gegenwärtigen phanerogamen Flora und Pflanzendecke der Schweiz, Beihefte zum botanischen Centralblatt 17. Bd. (1904) S. 157 u. £.

28 (55). Die hier und im folgenden als „grofse Ver- gletscherungsperioden“ bezeichneten Zeitabschnitte Balve ich sonst als „kalte Perioden“ bezeichnet.

29 (55). Als Skandinavien bezeiehne ich in dieser Abhandlung die Skandinavische Halbinsel nebst den schwe- dischen und norwegischen Inseln.

30 (85). Ob auch in den Karpaten? Wahrscheinlich hat sie sich in diesen jedoch erst während der letzten sro[sen Vergletscherungsperiode dauernd angesiedelt.

31 (55). Wahrscheinlich verschwand Carex ornithopoda während des Höhepunktes dieses Absehnittes vollständig aus Skandinavien. Zweifellos starb damals wenigstens die ur- sprüngliche Form aus; diese kehrte später nicht nach Skan- dinavien zurück.

32 (56). Über die Anderungen, welche das Areal während der Zeit der Achsenschwankung PEnck’s und der auf diese folgenden Zeit des Bühlvorstolses Pencr’s erfuhr, läfst sich gegenwärtig noch nichts sagen; vergl. hierzu ScHurz, Das Sckieksal der Alpen-Vergletscherung nach dem Höhepunkte der letzten Eiszeit, Centralblatt f. Mineralogie usw. 1904 8. 266—275, vorzügl. S. 274—275.

33 (56). Stellenweise scheint damals auch ihre Boden- anpassung eine Änderung erfahren zu haben; vergl. z. B. NorMANn, Norges arktiske Flora 2. Bd. (1895) S. 555.

34 (56). Auf die weiteren Geschicke dieser Art in Skandinavien will ich hier nieht eingehen.

35 (56). Auch ibre Anpassung an den Boden und die sie umgebende Pflanzenwelt erfuhr damals eine Änderung; ' sie wächst, wie es scheint, in Rulsland vorzüglich im Walde und am Waldrande.

36 (56). Im Ausgange des kältesten Abschnittes der

[23] Studien über die phanerogame Flora ete. 73

letzten grolsen Vergletscherungsperiode scheint sie in Ruls- land nieht nordwärts gewandert zu sein.

37 (56). Betreffs Norddeutschlands vergl. S. 59.

38 (56). Vergl. Anm. 24.

39 (57). Vergl. hierzu ScHuz, Entwieklungsgeschichte der phanerogamen Pflanzendecke des Saalebezirkes (1898) 5.24 u. f.

40 (57). Es ist nicht ausgeschlossen, dals sie einen Teil dieses Weges erst während der Zeit des Bühlvorstolses zurückgelegt hat; vergl. hierzu auch Anm. 32.

41 (57). Vergl. Anm. 73.

42 (57). Wie eine Anzahl anderer Arten, die gleieh- zeitig mit ihr und auf denselben Wegen wie sie in den Be- zirk eingewandert war.

43 (57). D. h. des das Eichsfeld, den Dün und das Ohmgebirge umfassenden Berglandes, von dem ein Teil zum Oberweserbezirke gehört. Vielleicht erhielt sich Carex orni- thopoda auch oder sogar ausschliefslich in letzterem.

44 (57). In welehen der Abschnitte des letzten Teiles der Periode die Ausbreitung hauptsächlieh fällt, das läfst sich nicht sagen.

45 (57). Von diesen Arten nenne ich nur: T’hlaspi montanum L., sowie die im Walde lebenden Aruncus silvester Kostel. und Prenanthes purpurea L. Bei anderen, z. B. Helianthemum oelandicum Wahlenbg. und Coronilla vaginalis Lam., läfst sieh nieht mehr so deutlich erkennen, dafs sie diesen Weg gewandert sind. Vergl. betreffs der genannten Arten SCHULZ, Studien I. S. 48 u. £.

46 (57). Als „Gegend der unteren Unstrui“ bezeichne ich das untere Unstruttal nebst den benachbarten Höhen, nach Norden bis zur Wasserscheide zwischen dem Unstrut- sebiete und den Gebieten der Geisel und der Salzke.

47 (57). Aus der Gegend von Sulza und Kösen drang eine Anzahl an kalkreichen Boden angepalster Arten längs des Muschelkalkzuges der Finne und Schmücke nach Westen vor. Da dieser Muschelkalkzug nur schmal und im Osten mehrfach unterbrochen ist, so gelangten manche der Wanderer erst spät, andere, zu denen auch Carex ornithopoda zu ge- hören scheint, garnicht in den westlichen Teil des Zuges,

74 Dr. AUGUST SCHULZ, [24]

dem deshalb eine Anzahl der an der Ilm und der Saale bei Sulza und Kösen häufigen Arten fast ganz oder ganz fehlt. Dieser Teil des Zuges würde noch ärmer sein, wenn er nicht auch von Westen, von der Hainleite, her besiedelt worden wäre.

48 (57). Sie ist wenigstens noch nicht oberhalb von Nebra beobachtet worden.

49 (57). Offenbar ist sie bis zur Gegend von Nebra schon während der ersten heilsen Periode, nicht erst während der zweiten heilsen Periode gelangt.

50 (57). Vergl. Anm. 87.

5l (57). Von der Saale zieht sich über Freiburg, Kars- dorf, Steigra, Grockstedt, Schmon und Querfurt bis ungefähr nach Gatterstedt, also bis zum südlichen Teile des Salzke- gebietes, ein fast ununterbrochener, stellenweise, vorzüglich zwischen Steigra und Schmon, allerdings sehr schmaler Muschelkalkstreifen hin.

52 (58). Also östlich vom Harze.

53 (58). D. h. diejenige Individuengruppenreihe von Oarex ornithopoda, welche aus dem südlichen al des Süd-Saale-Unterbezirkes vordrang.

54 (58). Es kommen ja nur die erste und die zweite heilse Periode sowie die Jetztzeit in Frage. Während der ersten und der zweiten kühlen Periode konnte diese In- dividuengruppenreihe von Carex ornithopoda sieher nicht wandern.

55 (58). Es ist allerdings nicht ausgeschlossen, dals sie doch über ihre heutige äulserste Wohnstätte in der Gegend der unteren Unstrut zwischen Grockstedt und Schmon hinaus vorgedrungen und in das angrenzende Weidagebiet gelangt ist, dals sie aus diesem aber später, entweder während der ersten kühlen Periode oder während des trockensten Abschnittes der zweiten heilsen Periode, wieder verschwunden ist. Denn es waren wohl während dieser beiden Zeitabschnitte im grölsten Teile des Weidagebieies die Bodenverhältnisse vergl. S. 62 —, und während des Höhepunktes des trockensten Abschnittes der zweiten heilsen Periode im ganzen Weidagebiete die klimatischen Verhältnisse für ein Gewächs wie Carex ornithopoda recht ungünstig.

[25] Studien über die phanerogame Flora ete. 75

56 (58). Carex ornithopoda steht hinsichtlich der Art und Weise ihrer Verbreitung im Saalebezirke nicht vereinzelt da; es verhält sieh vielmehr eine Anzahl derjenigen Arten, welehe während der ersten heilsen Periode auf denselben Wegen wie sie im Bezirke nordwärts gewandert sind, genau so wie sie. Andere von denjenigen Arten, welche damals auf diesen Wegen nordwärts gewandert sind, sind ein wenig über die Unstrutmündung hinaus bis zur Nordgrenze des Süd-Saale-Unterbezirkes, und oder eine, z.T. nur sehr kurze Strecke weit über die Wasserscheide der unteren Unstrut hinaus gelangt; ein Teil von diesen hat die Wasser- scheide vielleicht erst während der zweiten heilsen Periode überschritten, die meisten übrigen haben sich einen Teil ihres nördlich von der Scheide gelegenen Areales ohne Zweifel erst während dieser Periode erworben. Noch andere von den Nordwanderern sind z. T. vielleicht erst während der zweiten heilsen Periode in der Gegend der unteren Unstrut über Nebra hinaus und z. T. auch etwas über die Wasserscheide hinaus gelangt. Auch von denjenigen Arten, welche während der ersten heilsen Periode entweder auch oder ausschliefslich von Westen her in die Gegend der unteren Unstrut eingewandert sind, sind manche nur wenig, manche garnicht über die Wasserscheide hinaus vorgedrungen. Die unbedeutende Ausbreitung eines Teiles der sämtlich wie (arex ornithopoda während der beiden kühlen Perioden nicht ausbreitungsfähigen Arten dieser vier Gruppen be- sitzt ganz dieselbe Ursache wie die unbedeutende Ausbreitung von Carex ornithopoda; vergl. hierzu Anm. 87. Andere von diesen Arten wurden aulserdem vergl. hierzu Anm. 55 während des trockensten Abschnittes der zweiten heilsen Periode durch das für sie ungünstige Klima an der Aus- breitung in diesen Gegenden gehindert. Diejenigen von letzteren Arten, welehe während der ersten heilsen Periode die Wasserscheide übersehritten hatten, verloren während jenes Zeitabsehnittes durch die Klimaungunst einen Teil ihres nördlich der Scheide gelegenen Areales oder ver- schwanden vielleicht sogar vollständig nördlich der Scheide; auch in der Gegend der unteren Unstrut verloren damals wohl manche von diesen einen Teil ihres Areales. Die übrigen

76 Dr. August ScHuLz, [26]

Arten der vier Gruppen können nur im Walde, am Wald- rande oder an bebuschten Stellen z. T. ausschliefslich auf kalkreichem ursprünglichem Boden wachsen. Sie konnten die Wasserscheide deshalb nieht oder nieht weit überschreiten, weil in dem sich im Norden an diese anschliefsenden Land- striche während derjenigen Zeitabsehnitte, während welcher sie sich ausbreiten konnten, weit ausgedehnte Wälder nicht vorhanden waren, sondern die meist wohl nur kleinen Wald- parzellen, vorzüglich die auf kalkreichem ursprünglichem Boden gelegenen, durch z. T. recht grofse Zwischenräume von einander getrennt waren, über die sie nieht hinwegzu- gelangen vermochten. Diejenigen von ihnen, welche die Wasserscheide während der ersten heifsen Periode über- sehritten hatten, haben sicher während des trockensten Ab- schnittes der zweiten heilsen Periode, während welcher in den nördlich von der Wasserscheide gelegenen Gegenden die Wälder eine Verkleinerung erfuhren und aufserdem für manche von ihnen das Klima wenig günstig war, einen Teil ihres Areales in diesen Gegenden verloren. Alle diejenigen Arten der vier Gruppen, welehe während der ersten heilsen Periode die Wasserscheide überschritten hatten, hatten nörd- lich derselben striehweise während der beiden kühlen Perioden und während des trockensten Abschnittes der zweiten heilsen Periode durch die während dieser Zeitab- schnitte für sie ungünstigen Bodenverhältnisse mehr oder weniger zu leiden; vgl. Anm. 55.

57 (58). Vergl. ScHuuLz, Entwieklungsgeschichte der phan. Pflanzendecke d. Saalebezirkes S. 24 u. £.

58 (58). Wahrscheinlieh ist sie, wie manche andere Arten, vom Südharze in das Zechsteingypsgebiet des Kiff- häusergebirges gelangt.

59 (58). Es ist nieht ausgeschlossen, dafs sie vom Gypse des Südharzes auf andere Bodenarten übersiedelte, von diesen aber später, während für sie klimatisch un- günstiger Zeiten, wieder verschwand.

60 (58). Es ist m. E. nieht wahrscheinlich, dafs sich Carex ornithopoda auch nördlich vom Eichsfelde und Ohm- sebirge erhalten hat; vergl. S. 65.

61 (58). Die Entfernung der nördlichsten Wohnstätten

[27] Studien über die phanerogame Flora ete. 17

von den Erhaltungsstellen ist im Westen wohl nicht be- deutender als im Osten an der Saale.

62 (58). Während des Höhepunktes des trockensten Abschnittes dieser Periode erfuhr jedoch ihr Areal strichweise wahrscheinlich eine Verkleinerung; vergl. Anm. 55.

63 (59). Es ist recht wahrscheinlich, dafs sie sich ihr verhältnismälsig groises Areal in der Gegend von Göttingen (Dransfeld, Göttingen, Northeim) vergl. PETER, Flora von Südhannover, 1. Teil (1901) S.50 während der zweiten heifsen Periode durch Ausbreitung von einer Stelle aus er- worben hat.

64 (59). Wohl nicht in der Nähe der Fuhne, sondern bedeutend weiter im Norden.

65 (59). Vergl. S. 59.

66 (59). Es ist nieht ausgeschlossen, dafs Carex orni- thopoda noch an anderen Stellen im Nord-Saale-Unterbezirke sowie nördlich von diesem wächst, aber bisher übersehen worden ist.

67 (59). Vergl. hierzu Schurz, Studien 1 S. 46—47.

68 (59). Auf solehem wächst sie auch in verschiedenen Gegenden des südlichen Mitteleuropas und vorzüglich im Alpengebiete.

69 (59). Über die Lage der Anpassungsstelle bezw. Anpassungsstellen und die Wanderwege der Stromtalform von Carex ornithopoda läfst sich etwas Bestimmtes nicht sagen. .

70 (589). Doch wohl nur in kleinen Sprüngen; vergl. SCHULZ, Studien I. S. 46—47. ?

71 (59). Es ist nicht ausgeschlossen, dafs sie sich im Bezirke noch an anderen Stellen auf Flufsalluvium erhalten hat, aber bisher übersehen worden ist.

72 (59). Vergl. Schuuz, Studien I. S. 47. Diese Wohn- stätte ist wohl durch die Kultur vernichtet worden.

73 (89). Dagegen halte ich es für ganz unwahrscheinlich, dals Carex ornithopoda ‚bereits während des kältesten Ab- schnittes der letzten grofsen Vergletscherungsperiode oder während der Zeit des Bühlvorstolses in die Nähe ihrer heutigen Wohnstätten im Fuhnetale gelangt und später nach diesen von jener Stelle aus übergesiedelt ist.

73 ‘Dr. Aucusr Scaurz, [28]

74 (59). Auf die Geschicke von Carex ornithopoda im übrigen Mitteleuropa und in den im Westen und Süden an Mitteleuropa angrenzenden Gebieten will ieh hier nicht ein- gehen.

75 (60). Vergl. hierzu v. WerTsTEIN, Über Sesleria coerulea L., Verhandlungen d. k. k. zool.-bot. Gesellschaft in Wien 38 Bd. (1888) 8. 553—558.

76 (60). DBetrefis ihres russischen Areales, welches dem von Carex ornithopoda ähnlich ist, vergl. Schunz, Über die Entwieklungsgeschichte der phanerogamen Flora und Pflanzendeecke der Skandinavischen Halbinsel und der be- nachbarten Schwedischen und Norwegischen Inseln (1900) S. 114 u. 227. Nach Ostpreulsen ist sie von den russischen Erhaltungsstellen aus gelangt.

77 (61). Nach AscHERSoN und GRAEBNER, Flora des nordostdeutschen Flachlandes (aufser Ostpreulsen) (1898 bis 1899) S. 101, sowie ASCHERSON U. GRAEBNER, Synopsis der mitteleuropäischen Flora 2. Bd. 1. Abt. S. 320 (1900); ÄSCHERSON und GRAEBNER halten sie für eingeschleppt.

78 (61). Auf ihre weiteren Geschicke in Skandinavien will ich hier nicht eingehen.

79 (61). Sesleria varıa ist aus Skandinavien entweder schon während des kältesten Abschnittes der vorletzten sro[lsen Vergletscherungsperiode, oder erst während des kältesten Abschnittes der letzten grolsen Vergletscherungs- periode vergt}. hierzu Anm. 93 dauernd verschwunden.

80 (61). Von den Britischen Inseln ist Sesleria uliginosa wahrscheinlich während des trockensten Abschnittes der ersten heilsen Periode nach Island gelangt.

81 (61). Auf die weiteren Geschicke beider Formen auf den Britischen Inseln will ich nicht eingehen. Gegenwärtig wächst „Sesleria coerulea® nach BENTHAM-HookER, Hand- book of the British Flora 6. Aufl. (1896) S. 546 in Sehott- land, Nordengland sowie in Nord- und West-Irland.

82 (61). Vielleicht auch an der oberen Weser, an der „Desleria coerulea* bei Rinteln nach Hoyer, Flora” d. Grafschaft Sehaumburg (1838) S. 74 und Varenholz nach WesseEL, Grundrils zur Lippischen Flora (1874) $. 8 „auf Wiesen“ beobachtet worden sein soll.

[29] Studien iiber die phanerogame Flora ete. 0

83 (61). Vergl. Anm. 40.

84 (61). Vergl. Anm. 93.

85 (61). Sesleria varia ist —- aulser in der Gypszone im Süden am Harzrande bei Grund, Langelsheim, Goslar und im Okertale beobachtet worden. Nach diesen Örtlich- keiten ist sie wohl nieht aus dem höheren Harze, sondern wahrscheinlich von Westen her längs des westlichen und nördlichen Harzrandes gelangt. Es ist jedoch nieht aus- geschlossen, dafs sie im Okertale seit dem kältesten Ab- sehnitte der letzten grofsen Vergletscherungsperiode oder seit dem Zeitabschnitte des Bühlvorstolses lebt, sich bier an höhere Sommerwärme angepafst hat und dann von hier nach Goslar und Langelsheim gewandert ist. Aufserdem soll Ses- leria varıa bei Benzingerode am Harzrande zwischen Blankenburg und Wernigerode gelegen beobachtet worden sein vergl. Schatz, Flora v. Halberstadt (1854) 5. 261 —. Hierhin könnte sie sehr wohl aus der oberen Bodegegend, in weleher sie bei Rübeland, Elbingerode und Rothehütte wächst, gelangt sein; doch erscheint es mir sehr zweifelhaft, ob sie wirklich bei Benzingerode vorkommt oder vorgekommen ist, da sie von keinem späteren Floristen von dort erwähnt wird. Im Harze wächst Sesleria varıa nieht auf Muschel- kalk; Drupe’s Behauptung Der Hereynische Florenbezirk (1902) S.198 —, dafs sie im hereynischen Florenbezirke „den Muschelkalk nicht verläfst“, ist also nicht richtig. DRUDE widersprieht dieser seiner Behauptung ja auch selbst, wenn er a.a. 0. 8.177 sagt: „Auch im Braunschweiger Lande fehlt sie und zeigt sich erst auf den Zeehsteinhöhen, die bei Ocker u. s. w. die Vorberge auch des nördlichen Haızes bilden.“ Aber auch dies ist nicht riehtig: Bei Oker ist kein Zeehstein vorhanden; Sesleria varıa wächst hier (z. B. an der Rabenklippe), ebenso wie bei Grund (am Hübiehenstein) auf Devonkalk. Bei Langelsheim wo Zeehstein fehlt wächst sie auf Turon- und Cenomanpläner, also auf Gesteinen der Kreideformation (z. B. am Kohnsteine, nach Mitteilung von EwALp Wüsr). Auf was für einer Bodenart sie bei Goslar vorkommt, ist mir unbekannt; Zeeh- stein ist bei Goslar nicht vorhanden.

86 (62). Vergl. Anm. 46.

80 Dr. August Scuurz, [30]

87 (62). Sie war aber, abweichend von Carex ornitho- poda, ohne Zweifel nach dem Höhepunkte des trockensten Absehnittes der ersten heifsen Periode eine Zeitlang hinsieht- lich des Bodens, vor allem dessen Kalkgehaltes, ziemlich in- different, sodals sie sich auch auf Buntsandstein wenn auch wohl nieht auf ganz kalkarmem ansiedeln konnte. Wäre sie hierzu nieht imstande gewesen, so würde sie wohl nicht vom Muschelkalke des Weidagebietes nach dem Muschelkalk- gebiete von Bennstedt-Cölme-Lieskau, zwischen welehen beiden Gebieten sich aufser Quartär und Tertiär nur Buntsandstein befindet, gelangt sein; denn sie ist sicher nieht imstande, in einem einzigen grolsen Sprunge aus dem einen Gebiete in das andere zu gelangen. Von dem Buntsandsteine ist sie später während eines für sie ungünstigen Zeitabsehnittes, vielleicht während des Höhepunktes des trockensten Ab- schnittes der zweiten heilsen Periode, wieder verschwunden. Das Gleiche müssen wir auch von mehreren anderen der von der unteren Unstrut her in das Salzkegebiet ein- gewanderten gegenwärtig im Saalebezirke oder in ganz Mitteldeutsehland ausschliefslich oder fast ausschliefslich auf stark kalkhaltigem Boden lebenden Arten, z. B. von Helian- themum oelandicum Wahlenbg. und Teuerium montanum L. die letztere hat sieh im Salzkegebiete auf kalkreichem Bunt- sandstein erhalten —, annehmen.

88 (62). In beide Gebiete ist sie wohl schon während der ersten heilsen Periode gelangt.

89 (62). An kalkreichen ursprünglichen Boden ange- palste, schrittweise und in kleinen Sprüngen wandernde Arten sind von der unteren Unstrut her vorzüglich auf drei Wegen in das Salzkegebiet eingewandert: 1. von Karsdorf über Steigra, Grockstedt, Querfurt, Gatterstedt nach Farn- stedt, und von hier durch das Weitzschkerbachtal nach dem Weidatale; 2. von Karsdorf über Grockstedt und Querfurt nach Obhausen im Weidatale; 3. über Allstedt, längs der Rohne aufwärts nach Farnstedt. Der erste Weg war der bequemste; ein bedeutender Teil der Arten ist wohl aus- schlielslich auf ihm in das Salzkegebiet gelangt.

90 (62). Während des Höhepunktes des trockensten Abschnittes der zweiten heilsen Periode waren für sie in

[31] Studien über die phanerogame Flora etc. 81

diesem Tale und in den übrigen -Strichen des Salzke- gebietes ohne Zweifel die klimatischen Verhältnisse auch direkt ungünstig; dies läfst die Art und Weise ihres Auf- tretens im Salzkegebiete deutlich erkennen. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dafs ihr Areal im Salzkegebiete da- mals auch direkt durch das für sie ungünstige Klima ver- kleinert worden ist.

91 (62). Ebenso wie manche andere Arten. Auch in der umgekehrten Richtung, von dem Zechsteine bei Neu- Rakoezy nach dem Muschelkalke von Lieskau, sind während der heifsen Perioden verschiedene Arten ge- wandert. .

92 (62). Ob diese Wanderung schon während der ersten heilsen Periode oder erst während der zweiten heilsen Periode stattfand, das läfst sieh nicht sagen.

93 (62). Nach GArckE, Flora v. Halle 1. Teil (1848) S. 524, soll sie auch bei Sandersleben, Bernburg und Als- leben beobachtet worden sein; es ist jedoch keine dieser Angaben später bestätigt worden. Meine Angabe SCHULZ, ' Die Vegetationsverhältnisse der Umgebung von Halle (1887) S. 79, vergl. auch den vom Aller-Vereine herausgegebenen Nachtrag zu L. Schneider’s Flora von Magdeburg, Festschrift des naturwissenschaftlichen Vereins zu Magdeburg (1894) S.49 u. f. (202) —, dals Sesleria varia bei Sandersleben an der Harzwipper vorkommt, beruht auf einer Notizenver- wechslung. (Drupe’s Angabe Der Hereynische Floren- bezirk (1902) 8. 177 —, dals Sesleria varıa vom Ostharze an gemein wird, ist unrichtig). Auf den Rüdersdorfer Muschelkalkbergen bei Berlin, auf denen Sesleria varıa nach ASCHERSON und GRAEBNER, Synopsis der mitteleuropäischen Flora 2. Bd. 1. Abt. S. 318 (1900), von GRANTZow und LEDERMANN beobachtet sein soll, ist diese Art m. E. nie vorgekommen; der eine der genannten angeblichen Beobachter, GRANTZOowW wird von AsCHERSoN mehrfach als unzuverlässig bezeichnet. Sollte Sesleria varıa aber doch bei Rüdersdorf vorgekommen sein, so ist sie dorthin sicher schon während der letzten grofsen Vergletscherungsperiode oder während des Zeitabschnittes des Bühlvorsto[ses, nicht erst während der ersten heilsen Periode gelangt, und zwar ent-

Zeitschr, f, Naturwiss, Bd. 78. 1905—06, 6

82 Dr. August Schurz, [32]

weder aus dem Süden, oder von Norden, von Skandinavien her; sie kann in Skandinavien ja noch im Beginne des kältesten Abschnittes der letzten grofsen Vergletscherungs- periode vorgekommen sein.

94 (63). Vergl. Schurz, Entwicklungsgeschichte d. phan. Pflanzendecke Mitteleuropas nördlich der Alpen (1899) S. 35.

95 (63). Auf das Verhalten von Sesleria varıa in den übrigen Gegenden Mitteleuropas will ich nicht eingehen.

96 (63). Sie wächst in diesem am Kuhberge bei Quer- furt-Thaldorf, zwischen Querfurt und Lodersleben sowie bei Esperstedt, und zwar an allen drei im Weidagebiete auf Muschelkalk gelegenen Stellen nur in unbedeutender Verbreitung. Einige ältere hallische Floristen (Knautu 1687 und 1689 —, REHFELDT 1717 und v. LEYSSER dieser noch in der 2., 1783 erschienenen Auflage seiner Flora Halensis —) geben auch Schraplau als Fundort von Carlina acaulis an, doch beziehen sich diese Angaben viel- leicht auf die nur ungefähr 2 km südlich von Sehraplau ge- legene Wohnstätte der Art bei Esperstedt. Aufserdem kommt Carlina acaulis gegenwärtig noch an zwei weiter nördlich gelegenen Stellen des Salzkegebietes: im Mühltale zwischen Rollsdorf und Seeburg (auf unterem Buntsandstein) sowie auf dem’ Vogelsberge bei Bennstedt (auf Muschelkalk) vor. An beiden Stellen ist sie jedoch nachweislich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts —. angepflanzt worden; vergl. KALBERLAH, Zeitschrift f. Naturwissensehaften 70. Bd. (18°7) S. 121, und Fırrıng, Schunz und Wüst, Verhand- lungen d. botanischen Vereins d. Prov. Brandenburg 41. Jahr- gang (1900) 8.118 u. f. (154).

97 (63). KALBERLAH, welcher leider bald, nachdem er Carlina acaulis bei Harzgerode aufgefunden hatte, starb,

hat keine näheren Angaben über die Lage dieser nach seinen Mitteilungen einem Teile der Bewohner Harzgerodes bekannten Fundstätte gemacht.

Harzgerode führt freilich schon ScHwABE (Flora An- haltina 1. Bd. (1838)) als Fundstätte von Carlına acaulıs an, doch ist diese Angabe, ebenso wie die des Vorkommens dieser Art bei Mägdesprung und Gernrode in derselben Sehrift, welehe Angaben auch in andere Floren, z.B. in die

[33] Studien über die phanerogame Flora ete. 83 Floren von Sachsen von REICHENBACH sowie von Houu und HEynHoLD übergegangen sind, von SCHWABE ohne Zweifel frei erfunden.

98 (63). Nicht „Weis“, wie a. a. O. steht.

99 (63). Siehe Mittheilungen d. Thüringischen botanischen Vereins, N. F. 17. Bd. (1902) 8. 121. Nach gefälliger brief- lieher Mitteilung des Entdeekers, Herrn Lehrers K. Wein in Rehmsdorf bei Zeitz, wächst Carlina acaulıs bei Wippra an einem nach Südwesten gelegenen Abhange Silbersee ge- nannt auf Diabas, devonischem Sehiefer und Gehängelöls, und zwar in ziemlicher Anzahl.

100 (63). Ich halte es für unwahrscheinlich, dals Carlına acaulis an ihren Fundstellen im Unterharze angepflanzt ist.

101 (63). Im Thüringerwalde ist sie wenig verbreitet und auf niedrigere Lagen beschränkt.

102 (63). Am häufigsten ist sie in diesem Teile des Bezirkes im Eichsfelde und im Düne. In diesen beiden Gebirgen ist sie auch in deren nicht zum Bezirke gehören- dem Teile verbreitet.

103 (63). ‘Nach PrTer, Flora v. Südhannover 1. T. (1901) S. 281, soll sie allerdings bei „Querfurt-Lodersleben“ im „Gipsgebiet des Südharzes einschlie(slich Nordhausen“ wachsen; diese beiden Orte vergl. oben liegen aber nicht in dem genannten Gebiete, überhaupt meilenweit aulser- halb der Grenzen von PETER’s Florengebiet.

104 (63). Lurze, Flora von Nord-Thüringen (1892) S. 368, nennt wie schon vor ihm IxMmIscH, Systematisches Verzeiehnifs der in dem unterherrschaftlichen Theile der Sehwarzburgischen Fürstenthümer wildwachsenden phanero- gamischen Pflanzen (1846) S.35 zwar auch „Franken- hausen“ als Fundort, doch ist damit wohl der östliche Teil der Hainleite, nieht der südliche Teil des Kiffhäusergebirges gemeint.

105 (64). Wahrscheinlich ist sie auch während des troekensten Absehnittes der zweiten heilsen Periode in Mittel- europa eingewandert, doch ist sie diesmal in ihm wohl noch weniger weit vorgedrungen als während der ersten heifsen Periode.

6*

84 Dr. August ScHurz, [84]

106 (64). Dieses Areal wird im Westen ungefähr durch eine Linie begrenzt, welche die Orte: Dresden, Löbau, Görlitz, Niesky, Triebel, Grünberg, Meseritz, Reetz, -Schivel- bein, Rummelsburg, Lauenburg und Neustadt in Westpr. mit einander verbindet. Seine Nordgrenze wird ungefähr durch eine die Orte: Neustadt in Westpr., Berent, Pr. Stargard, Mohrungen, Rastenburg, Angerburg und Wilna verbindende Linie gebildet. Nach Osten dehnt sich das Areal nach v. HERDER bis zum Gouvernement Mohilew aus. Wie weit es sich nach Südosten ausdehnt, konnte ich leider nicht feststellen.

107 (64). Vergl. Anm. 32. Ohne Zweifel ist sie nicht ausschlielslich während dieses Zeitabschnittes, sondern auch, und zwar vorzüglich, während des kältesten Abschnittes der letzten grolsen Vergletscherungsperiode eingewandert.

108 (64). Über ihr Verhalten während der Zeit der Achensehwankung lälst sich nichts sagen.

109 (64). Wie viele Stellen es waren und wo sie lagen, das läfst sich nicht sagen.

110 (64). Vergl. das oben Gesagte.

111 (64). Einschliefslich des Zeitabsehnittes des Bühl- vorstolses.

112 (65). Ihre Wege lassen sich nicht mehr feststellen, da ihre heutige Verbreitung im oberen Donaugebiete (ober- halb Oberösterreichs), im Rheingebiete und im Wesergebiete ohne Zweifel wesentlich von derjenigen abweicht, welche sie in diesen Gebieten während ihrer Einwanderungszeit bezw. Einwanderungszeiten besals. Sie war offenbar in diesen Gebieten am Ausgange des Zeitabschnittes des Bühl- vorstolses weit verbreitet, hat aber während des ersten Teiles der ersten heilsen Periode den grölsten Teil ihres Areales in ihnen verloren und sich in ihnen nur in höheren Gegenden, vorzüglich in solchen mit kalkreichem Boden, erhalten. Hier hat sie sich während des Höhepunktes des trockensten Ab- schnittes dieser Periode an höhere Sommerwärme angepalst. Und darauf, während des letzten Teiles der ersten heilsen Periode, hat sie sich von ihren Erhaltungs- und Anpassungs- stellen aus von Neuem, und zwar vorzüglich nach niedrigeren Gegenden hin, ausgebreitet; hierbei hat sie sich auch an

[35] Studien über die phanerogame Flora ete. 85 manchen Örtliehkeiten mit kalkarmem Boden dauernd an- gesiedelt.

113 (65). Wie sich ihre Wandernngen auf diese beiden Zeitabsehnitte verteilen, das läfst sich zur Zeit noch nicht sagen; vergl. Anm. 32. In den Saalebezirk ist Carlına acaulis ohne Zweifel schon während des kältesten Abschnittes der letzten grolsen Vergletscherungsperiode gelangt; sie hat sich im Bezirke sicher schon während dieses Zeitabschnittes weit ausgebreitet und dauernd angesiedelt.

114 (65). Weder während des kältesten Abschnittes der letzten grolsen Vergletscherungsperiode noch während des Zeitabschnittes des Bühlvorstolses.

115 (65). Wahrscheinlich erreichte sie den Harz schon während des kältesten Abschnittes der letzten grofsen Vergletscherungsperiode.

116 (65). Es sind dies dieselben Striche, in denen sich Carex ornithopoda erhielt.

117 (65). Nach Osten hin überschritt sie die Ostgrenze des Saalebezirkes und drang bis zur Elster vor, an der sie bei Zeitz, Gera, Pausa und angeblich Plauen be- obaehtet wurde. Zwischen der Ostgrenze des Saalebezirkes, dem Kamme des Erzgebirges und der Elbe lebte Carlina acaulis während des Höhepunktes des trockensten Ab- sehnittes der ersten heilsen Periode nur an wenigen Stellen, von denen aus sie sich später nur sehr unbedeutend aus- gebreitet hat.

118 (65). Ob auch im Süntel bei der Paschenburg ? Diese Angabe in MEurer’s Beiträgen z. Übersicht d. Kur- hessischen Flora, Jahresbericht über d. Kurf. Gymnasium zu Rinteln 1848 S. 22 scheint nicht bestätigt worden zu sein; vergl. BEckHAus, Flora v. Westfalen (1893) S. 612. Bei Altena, an der Westgrenze des Oberweserbezirkes, wo sie nach v. D. MArck, Verhandlungen des naturhist. Vereins d. preu[s. Rheinlande 8. Jahrg. S. 444, beobachtet sein „soll“, ist sie wohl nie vorgekommen; vergl. NıcoLAL, Die um Iserlohn wildwachsenden Phanerogamen, Jahres - Bericht über d. Realschule erster Ordnung zu Iserlohn f. d. Schul- jahr 1871—72 (1872) S. 11, sowie SCHEMMANN, Flora der Kreise Bochum, Dortmund und Hagen, Verhandlungen des

86 Dr. August ScHutz, [36]

naturh. Vereins d. preufs. Rheinlande u. Westfalens 41. Jahrg. S. 85.

119 (65). Vergl. das bei Oarex ornithopoda Anm. 60 Gesagte.

120 (65). Von dieser Stelle kann sie ja später ver- schwunden sein.

121 (66), Die gegenwärtig im südliehen Teile des Ober- weserbezirkes vorkommenden Individuen von Carlina acaulis stammen wohl teils von solehen Individuen, die sich in dem oben genannten Gebiete, teils von solehen, die sich in der Rhön und in den sich im Norden an diese anschliefsenden Berggegenden, teils von solehen, die sich am westlichen Rande des Thüringerwaldes an höhere Sommerwärme anpalsten, ab. Namentlich von der Rhön und den angrenzenden Berg- gegenden aus hat sich Carlina acaulis nach dem Höhepunkte des trockensten Abschnittes der ersten heifsen Periode aus- gebreitet; von hier aus ist sie nach Süden bis zur Gegend von Würzburg vorgedrungen. Dagegen ist es unwahrsechein- lieh, dafs die Individuen des nördlichen Teiles des Ober- weserbezirkes von solehen Individuen abstammen, welehe sich in der Rhön und den angrenzenden Berggegenden während des trockensten Abschnittes der ersten heifsen Periode an höhere Sommerwärme anpalsten. Nach Westen geht Carlina acaulis, wie es scheint, über die Gegend von Schlitz, Fulda und Schlüchtern nieht hinaus; dem Vogels- berge fehlt sie vollständig. Auch weiter im Westen kommt sie im Gebiete des Rheines unterhalb von Bingen nieht vor.

122 (66). Zahlreiche andere phanerogame Arten sind teils sicher, teils wenigstens höchst wahrscheinlich naeh dem Höhepunkte des trockensten Abschnittes der ersten heilsen Periode, während des letzten Teiles dieser Periode aus dem Unterharze in die vorliegenden niedrigeren Gegenden eingewandert und in diesen zu dauernder Ansiedlung gelangt. Und zwar sind dies sowohl solehe Arten, die schon während der letzten grolsen Vergletscherungsperiode in den Harz gelangt sind, als auch solehe Arten, die sich im Harze, wie im Saalebezirke überhaupt, erst während der ersten heifsen Periode angesiedelt haben. Die ersteren sind teils Bewohner des unbeschatteten oder wenig beschatteten Bodens, teils

[37] Studien über die phanerogame Flora ete. 87

Bewohner des Waldes. Vergl. hierzu Schutz, Studien über die phanerogame Flora und Pflanzendecke des Saalebezirkes 1. (1902) 8.43 u. £.

123 (66). Dagegen ist es wohl ausgeschlossen, dafs sie von Einwanderern aus dem unteren Unstruttale abstammen.

124 (66). Vgl. S. 62.

125 (67). Betreffs anderer Arten, die nach dem Höhe- punkte des trockensten Abschnittes der ersten heilsen Periode im Saalebezirke von Süden her vordrangen und bis zur unteren Unstrut oder ein wenig über diese hinaus gelangten, aus dem zum Nord - Saale - Unterbezirke gehörenden Teile des Harzes, in welchem sie ebenfalls während des Höhe- punktes jenes Zeitabsehnittes lebten, aber nicht- in die vorliegenden niedrigeren Gegenden einwanderten, ' vergl. SCHULZ, Studien über die phanerogame Flora und Pflanzen- . deeke des Saalebezirkes I. (1902) S. 44 (Sesleria varia

(Jacqg.)), S. 51 (Bupleurum longifolium L.) und 'S. 54 (Pre- nanthes purpurea L.). n

Der Streit um den Naturbegriff.

Von H. Kersten.

Dals man über einen anscheinend so einfachen und allgemeinverständlichen Begriff wie den der Natur!) noch streiten kann, das mag dem weniger eingeweihten Leser ziemlich sonderbar vorkommen. Was unter der Natur zu verstehen ist, das wird doch heutzutage, wo das Wort eine so eigenartige Popularität erlangt hat, jeder halbwegs Ge- bildete zu wissen glauben; auch wird jeder stillschweigend voraussetzen, dals andere das Gleiche darunter verstehen wie er selbst. Freilich folgt daraus, dafs ein Wort allgemein gebraucht und im Umlaufe ist, noch nicht, dafs immer ein klarer und bestimmter Sinn damit verbunden wird, ebenso- wenig, dals es immer omnium consensü in demselben Sinne gebraucht wird. Dies gilt zumal von solehen Worten, über deren genauere Bedeutung zu reflektieren dem gewöhnlichen Denken ziemlich fern liegen muls. Und hierher gehört gewils auch das. Wort „Natur“.

Die verwunderte Frage nun, die uns vielleicht entgegen gehalten wird, wie denn über die Bedeutung dieses Wortes noch Streit sein könne, mag immerhin vom Standpunkt des naiven Denkens aus verständlich und in gewissem Mafse berechtigt sein. Anders aber muls man die Sache ansehen, wenn man sich auf den Boden des wissenschaftlichen

ı) Dals die andere Bedeutung, in der das Wort „Natur“ ange- wendet wird, Natur—Wesen oder Beschaffenheit, hier nicht in Rede steht, braucht wohl kaum erst noch bemerkt zu werden,

[2] Der Streit um den Naturbegriff. 89

Denkens stellt. Denn dem letzteren liegt eben die kritische Prüfung und Fixierung der Begriffe ob, nieht am wenigsten der Begriffe von allgemeiner und prinzipieller Art. Und wenn sich hierbei nicht selten Differenzen in der Auffassung und Definition ergeben, so entspringen diese nicht etwa immer blofs einer gelehrten Haarspalterei und Rechthaberei, sie stellen sich vielmehr teilweise unvermeidlich ein. Dann beruhen sie eben auf wirklichen Schwierigkeiten in der Sache selbst. Und der Sachkundige weils, dafs dies auch in unserem Falle zutrifft.

Es handelt sich also bei dem Streit um den Naturbegriff um die verschiedene Beurteilung dieses Begriffes m der Wissenschaft, genauer in der philosophischen Wissenschaft und in der Naturwissenschaft. Die Frage ist nämlich: Soll man neben den körperlichen Dingen und Er- scheinungen auch die geistigen trotz fundamentaler Wesensverschiedenheit mit zur Natur rechnen oder nieht? Demgemäls ergeben sich zwei entgegengesetzte Auffassungen des Naturbegriffes; und über diese den Leser kurz zu orientieren, das mag der Zweck des folgenden Referates sein.

1. Beginnen wir mit der Philosophie. Seit der kühne Denker Karresıvs zuerst die Begriffe des Körperlichen und des Geistigen :mit vorher unbekannter Schärfe unterschied und zu einander in einen unüberbrückbaren Gegensatz stellte, seit er die Welt des Wirklichen in zwei völlig getrennte Sphären, die Körper- und die Geisteswelt zerlegte, hat sich der so geschaffene Dualismus, der im übrigen ja seine historische Berechtigung hatte, in der Wissenschaft erhalten, trotz aller Versuche, ihn durch eine monistische Auffassung der Gesamtwelt zu beseitigen.

Die Körperwelt oder die Sinnenwelt, die materielle Aufsenwelt, die Welt des Ausgedehnten, die objektiv-reale Erscheinungswelt, das sind verschiedene Ausdrücke des wissenschaftlichen Sprachgebrauches zur Bezeiehnung dessen, was sewöhnlich einfach „die Natur“ genannt wird. Zwar falst selbst KAnT, indem er zwei Arten der sinnlichen Wahr- nehmung, eine äulsere und eine innere, unterscheidet, den Naturbegriff in einem weiteren Sinne. Natur, so erklärt

‚90 H. KErSTEn, [3]

er"), in materieller Bedeutung genommen?), ist „der In- begriff aller Dinge, sofern sie Gegenstände unserer Sinne, mithin auch der Erfahrung sein können, worunter also’ das Ganze aller Erscheinungen, d. i. die Sinnenwelt, mit Aus- schlie[sung aller nicht sinnlichen Objekte, verstanden wird.“ Und dann fährt er fort: „Die Natur, in dieser Bedeutung des Wortes genommen, hat nun, nach der Hauptverschieden- heit unserer Sinne, zwei Hauptteile, deren der eine die Gegen- stände äuflserer, der andere den Gegenstand des inneren Sinnes enthält, mithin ist von ihr eine zweifache Naturlehre, die Körperlehre und Seelenlehre möglich, wovon die erste die ausgedehnte, die zweite die denkende Natur in Er- wägung zieht.“ Auch neuere Philosophen gibt es, die unter der Natur „die Gesanitheit der in der Erfahrung gegebenen Erscheinungen“ verstehen und die Seele und alles Geistige mit zur Natur im weiteren Sinne des Wortes rechnen). Sie tun dies, indem sie zwischen Körperlichem und Geistigem eine Wechselwirkung annehmen analog derjenigen zwischen Körperliehem und Körperlichem. Insgemein sind es dabei Er- wägungen metaphysischer Art, welehe für diese Philosophen malsgebend sind und ihren Standpunkt von vornherein be- stimmen. Demgegenüber bemerkt indessen Könıs®): „Im Sinne der empirischen Wissenschaften ist Natur zunächst der Inbegriff der körperlichen Dinge; dieser Natur- begriff trägt seine Rechtfertigung in sich selbst, dagegen ist es doch zunächst recht fraglich, mit welehem Rechte auch die geistigen Erscheinungen mit zur Natur gezählt werden

!) Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, Vorrede.

2) Nicht blofs in formaler Bedeutung, d.h. „nicht als eine Be- schaffenheit“.

°) So z. B. Erhardt, Die Wechselwirkung zwischen Leib und Seele. Leipzig 1897. Auch für E. v. Hartmann erweitert sich der Begriff der Natur insofern, als er zwischen das Bewulstgeistige und das Körperliche, die er als disparate „Sphären“ einander gegenüberstellt, ein Unbewulstgeistiges (Seele) einschiebt, welebes den Zusammenhang zwischen beiden vermitteln soll und zur Natur im weiteren Sinne zu rechnen wäre. Vgl. E. v. Hartmann, Die moderne Psychologie. Leipzig 1901.

#) Die Lehre vom psychophysischen Parallelismus u. ihre Gegner. Ztschr. f. Philos. u. philos. Kritik. Bd. 115, 8. 172.

[4] Der Streit um den Naturbegriff. 91

können. Es wäre dies offenbar nur dann zulässig, wenn sie mit den physischen in derselben Weise verknüpft sind wie diese untereinander, darum aber dreht sich gerade die Streitfrage.*

König selbst verwirft die Annahme einer solchen Ver- knüpfung'!) und schliefst sich an WunDT an, der sich gegen einen psychophysischen Kausalnexus erklärt und die Lehre vom psychophysischen Parallelismus vertritt. Hiernach darf man vom Standpunkt der empirischen Psychologie aus?) nieht behaupten, dafs die am Organismus regelmälsig zu- sammengehenden physischen und psychischen Vorgänge (Sinnesreize und Sinnesempfindungen; Gefühls- resp. Willens- regungen und Muskelkontraktionen) in kausaler Beziehung zueinander stehen, sodals bestimmte physische Vorgänge allemal die Ursache für bestimmte psychische Vorgänge wären und umgekehrt. Vielmehr lälst sich erfahrungsmälsig nur soviel sagen, dafs die einen und die anderen zeitlich zusammentreffen und parallel verlaufen, und dafs insofern, aber auch nur insofern, die einen den anderen entsprechen. Den Grund dieses regelmälsigen Zusammengehens lälst der Anhänger der Paralleltheorie völlig dahingestellt. Zwar fordert natürlich das hier vorliegende Problem eine Lösung, aber diese ist nicht Sache der empirischen Psychologie, so wenig wie der Naturwissenschaft; vielmehr muls es der Philosophie überlassen bleiben, zu sehen, was sie damit an- fangen kann. Der Paralleltheoretiker, indem er sich nur an die Erfahrung hält, erkennt auch in dem psychologischen Pıinzip des Parallelismus nichts weiter als eine Forderung der Erfahrung, „ein empirisches Postulat“, wie WunDT sagt, „zu welehem die Physiologie auf der einen, die Psy-

1) Vgl. aufser der zitierten Abhandl. Königs noch die weitere: Warum ist die Annahme einer psychoph. Kausalität zu verwerfen ? Ztschr. f. Philos. usw. Bd. 119.

?2) Der empirischen Psychologie, in Verbindung mit der Natur- wissenschaft, steht zunächst die Entscheidung der vorliegenden Frage auf Grund der Erfahrung zu; dann erst hat die Philosophie mitzureden und auf spekulativem Wege den metaphysischen Bedingungen nachzugehen, auf denen das empirisch gegebene Verhältnis zwischen den geistigen und den körperlichen Erscheinungen, sei dies nun ein Kausalnexus oder ein Parallelismus oder sonst etwas anderes, beruht.

92 H. KERSTEN, [5]

ehologie auf der andern Seite geführt werden, sobald sie es versuchen, an der Hand des von der Naturwissenschaft aus- gebildeten exakten Kausalbegriffes über die Wechselbeziehung zwischen physischen und psychischen Vorgängen im lebenden Organismus Rechnung zu geben.“

Es ergibt sich dieses Postulat unmittelbar aus dem durch die Tatsachen hinlänglich gesicherten Satze, dafs jedes äulsere, an einem materiellen Dinge zu beobachtende Geschehen durch ein vorhergehendes ebensolehes Geschehen verursacht wird und seinerseits auch wieder ein weiteres derartiges Ge- schehen bewirkt und nach sich zieht. Die Vorgänge der Körperwelt stehen sonach in einem ununterbrochenen und lückenlosen Kausalzusammenhange; mit andern Worten, die Naturkausalität bildet „ein in sich abgeschlossenes Gebiet“, daher denn auch jener Satz mit Recht als „das Prinzip der Geschlossenheit der Naturkausalität“ bezeichnet werden kann!). Aus diesem Grundsatze folgt nun eben, dafs weder ein äulserer Vorgang von Ursachen abhängen kann, die nieht selbst der materiellen Aufsenwelt angehören, noch dafs ein soleher Vorgang eine andere als eine materielle Wirkung nach sich ziehen kann, da sonst in beiden Fällen der kausale Zusammenhang der äufseren, physischen Vor- gänge so und so oft unterbrochen würde. Wenn hiernach also eine Wechselwirkung zwischen psychischen und phy- sischen Vorgängen ausgeschlossen ist und in Wahrheit sich nur eine Koexistenz derselben behaupten lälst, so sind die psychischen Erscheinungen mit den physischen nicht in der- selben Weise verknüpft zu denken wie die letzteren unter- einander. Und demzufolge wären auch die ersteren nicht mit zur Natur zu rechnen.

So gewichtig und zwingend nun auch die Gründe er- scheinen, die sich zu Gunsten der Paralleltheorie ins Feld führen lassen, so ist doch die Zahl der Gegner dieser Theorie keineswegs gering. Zu ihnen gehört von den bekannteren Psychologen auch C. Stumpr?). Wir erwähnen ihn deshalb noch besonders, weil seine Anschauungen sich zum Teil auch

2) Vgl. seine Rede zur Eröffnung des internat. Kongresses für Psychologie zu München 1896.

[6] Der Streit um den Naturbegriff, 95

auf naturwissenschaftlicher Seite vertreten finden. Indem sich also Stumpr in seiner Kritik der Paralleltheorie völlig ablehnend gegen dieselbe verhält, sucht er ihr gegenüber die Theorie der Wechselwirkung plausibel zu machen und diskutiert dabei zwei Möglichkeiten, wie man sich die kausale Wechselwirkung denken könne.

Einmal meint er, dafs sich das Psychische sehr wohl „als eine Anhäufung von Energieen eigener Art“ ansehen liefse, „die ihr genaues mechanisches Äquivalent hätten.“ „Gewisse psychische Funktionen würden mit einem fort- währenden Verbrauch, andere mit einer ebenso fortgehenden Erzeugung physischer Energie verknüpft sein.“ Diese An- nahme, bei der das Geistige seine selbständige und eigen- artige Existenz einbülst, um dem Energiebegriff untergeordnet zu werden, findet sich im wesentlichen bei dem Energetiker OstwALD wieder. Wir werden später noch davon zu reden haben.

Die andere Möglichkeit wäre die, dals die psychischen Zustände Wirkungen und Ursachen physischer Vorgänge wären, ohne dals irgend eine Verminderung resp. Vermehrung physischer Energie mit dieser Wechselwirkung verbunden wäre. Einerseits also würde ein bestimmter lokalisierter Nervenprozels in der Grofshirnrinde als unerläfsliche Vor- bedingsung für das Zustandekommen einer bestimmten Em- pfindung anzusehen sein. Die letztere geht „als notwendige Folge neben den physischen Wirkungen“ aus jenem Prozels hervor. „Aber dieser Teil der Folgen absorbiert keine physische Energie und kann in seinem Verhältnis zu den Bedingungen nicht durch mathematische Begriffe und Ge- setze ausgedrückt werden.“ Andererseits würde ein be- stimmter Proze[s in den motorischen Zentren der Hirnrinde nieht durch blofs physiologische Bedingungen zustande kommen, „sondern stets nur unter Mitwirkung eines be- stimmten psychischen Zustandes, ohne dafs doch das Quantum physischer Energie durch diesen beeinflulst wird.“ Es wäre aber doch nichts als eine Selbsttäuschung, etwa zu denken, dafs hiermit nun wirklich schon eine kausale Wechselwirkung zwischen Körperlichem und Geistigem auf- gewiesen und beschrieben würde. Was STuMPF in dieser

94 H. Kersten, [7]

Hinsicht sagt, und wie er sich diese zweite Möglichkeit zurechtlegt, das läuft schliefslich doch nur auf die Annahme einer Art von psycho-energetischem Parallelismus hinaus: Neben gewissen energetischen Vorgängen im Organismus sehen gewisse psychische Vorgänge einher und umgekehrt. Wenn das der Kern der Sache ist, so ist das im Grunde nicht mehr, als was die Theorie des psyehophysischen Parallelismus behauptet. Srumpr wäre also ganz unver- sehens selbst auf den Standpunkt geraten, den er recht eigentlich bekämpfen will; und dies infolge des sehr mils- lungenen Versuches, empirisch-psychologisch den Zusammen- hang der energetischen und der psychischen Erscheinungen als einen kausalen dartun zu wollen.

2. Auch auf naturwissenschaftlieher Seite, und speziell unter den Biologen, haben wir Forscher genug, welche die „psyebischen Qualitäten“ der Natur mit zuzählen. Das tun ja als selbstverständlich die Materialisten aller Nuancen, das tun andererseits aber auch manche solche Forscher, die dem Geistigen eine selbständige Existenz zuerkennen, die im übrigen aber die verschiedensten Standpunkte einnehmen. Erweitert wird dabei der Begriff der Natur nur von den letzteren. Die Materialisten dagegen wollen das Psychische eben völlig im Materiellen aufgehen lassen und so das Geistige als solehes einfach aus der Welt schaffen.

Wir dürfen nun die spezifischen Erseheinungen am lebenden Organismus in zwei Gruppen sondern, die vitalen: Ernährung, Wachstum, Anpassung, Fortpflanzung, Vererbung u.a. m., und die psychischen: Empfinden, Fühlen, Denken, Wollen. Unzweifelhaftes Objekt der Naturwissenschaft sind die ersteren. Der Materialismus aber sucht nicht blols diese, sondern auch die rein geistigen Phänomene auf physiko- chemisehe Bedingungen zurückzuführen und so zu erklären.

Es ist für unsere Betrachtung ziemlich irrelevant, welehe Modifikation der naturwissenschaftliche Materialismus im Laufe des vorigen Jahrhunderts erfahren hat. Während nämlich, um das nur kurz zu bemerken, ein VoGT, MOLESCHOTT, BÜCHNER u. a. alle psychischen Phänomene einfach mit physiologischen Prozessen identifizierten und speziell auch im Denken nur „eine Bewegung oder Umsetzung der Hirn-

[8] Der Streit um den Naturbegriff. 95

substanz“ sahen bekannt ist jener derbdrastische Ver- gleich Vogrs, nach welchem die Gedanken in ähnlieber Weise. von der Gehirnsubstanz abgesondert werden sollen wie die Galle von der Leber —, so falsten spätere Vertreter des Materialismus das Verhältnis der geistigen Vorgänge zu den körperlichen anders auf: sie sahen die ersteren für „Begleiterscheinungen“ der letzteren an. So erklärt der Psyehiater FLecHsiG !) die Seele „für eine Funktion des Körpers, die Seelenerscheinungen für Lebenserscheinungen, für den Ausdruck von Lebensvorgängen, welche sich von anderen Vorgängen dieser Art (besonders im Nervensysteme) zunächst dadurch sondern, dafs sie eben mit Bewulstsein einhergehen.“ Er fährt dann fort: „Die Medizin in ihren malsgebenden Vertretern falst also das Bewulstsein als Be- gleitersecheinung biophysischer Vorgänge auf, keineswegs aber hiermit ohne weiteres als eine Resultierende derselben im mechanischen Sinne.“ Auch nach dieser modifizierten Ansicht also haben die geistigen Erscheinungen den körper- liehen gegenüber keine originale Selbständigkeit zu bean- spruchen, was ja eben für die materialistische Auffassung charakteristisch ist. j

Eine verwandte Ansicht wird übrigens auch von einer bestimmten Richtung der modernen Psychologie vertreten. Diese Richtung, welche von einem ihrer Hauptvorkämpfer, H. MÜNSTERBER@?), als „psychophysischer Materialismus* bezeichnet worden ist, behauptet nieht, dafs die psychischen Vorgänge einfach Produkte des Gehirnmechanismus seien; sie lälst auch das Bewulstsein als eine nicht aus physischen Ursachen abzuleitende Tatsache für sich stehen; aber sie will alles seelische Leben als völlig abhängig von physi- schen Prozessen und, soweit es ein bewulstes ist, „als blofses zuschauendes Wahrnehmen eines physischen Gehirn- vorganges* angesehen wissen, das (bewulste) Seelenleben soll sozusagen nur ein Spiegelbild, ein Reflex der im Gehirn ablaufenden physiologischen Prozesse sein.

Kommen wir aber auf die Unterscheidung der vitalen und der psychischen Erscheinungen zurück. Bei den ersteren

) Gehirn und Seele. Rektoratsrede. 2. Aufl. Leipzig 1896. 2) Uber Aufgaben und Methoden der Psychologie. Leipzig 1891.

96 H. KERSTEn, [9]

kommen in der Tat materielle Vorgänge in Frage, die teils makro- teils mikroskopisch als solehe erkennbar sind. Und das Bestreben, diese Lebensphänomene mit Ausschlufs aller besonderen vitalen Kräfte, von der alten „Lebenskraft“ bis zu den „Dominanten“ REINKES, rein physiko-chemisch er- klären zu wollen, müssen wir für durchaus berechtigt halten, allen teleologischen Einwendungen zum Trotz. Es würde viel zu weit führen, uns hier auf eine Widerlegung dieser Einwände einzulassen. Doch möchten wir wenigstens den für die Sache sich weiter interessierenden Leser auf die Publikationen von drei der namhaftesten neueren Forscher verweisen, die sich mit sehr treffenden Argumenten gegen die vitalistischen Tendenzen und deren Erneuerer gewendet haben. Wir meinen den Physiologen VERWOoRN!), den Zoologen BürscHLı?) und den Chemiker OstwaArLn°). Der Erstgenannte kommt am Ende seiner Kritik des Vitalismus zu dem Ergebnis: „Soviel aber steht fest: niemals kann sich für die Physiologie ein anderes Erklärungsprinzip der körperlichen Lebenserscheinungen ergeben, als für die Physik und Chemie bezüglich der leblosen Natur. Die Annahme einer besonderen Lebenskraft ist in jeder Form nieht nur durchaus überflüssig, sondern auch unzulässig.“

Anders aber liegt die Sache bei den geistigen Er- scheinungen. Wie völlig hier jede mechanische Theorie versagt, das hat wohl keiner vollendeter zum Ausdruck ge- bracht, als Du Boıs Reymonp 4): Selbst wenn wir den idealsten Fall gesetzt! „eine astronomische Kenntnis“ der Körperwelt und speziell auch des Gehirns besälsen, d.h. eine so mathematisch exakte Kenntnis von der gegen- seitigen Lage und der Bewegung der Atome, wie sie der Astronom von der Lage und der Bewegung der Himmels- körper besitzt, so würden wir zwar alle Erscheinungen der Körperwelt naturwissenschaftlich verstehen und würden die

!) Allgemeine Physiologie. 2. Aufl. Jena 1897.

2) Mechanismus und Vitalismus. Verh. d. V. internat. Zoolog. Kongr. z. Berlin. Jena 1902.

°) Vorlesungen über Naturphilosophie. Leipzig 1902.

4) Über die Grenzen des Naturerkennens. Vortrag, gehalten a. d. Naturforschervers. zu Leipzig 1872.

110] Der Streit um den Naturbegrift. 97

augenblickliche Lage und Bewegung jedes einzelnen Atomes im Gehirn wissen. Wir könnten auch bestimmen, mit welchen Bewegungsänderungen und Umlagerungen der Atome die verschiedenen geistigen Erscheinungen einhergingen. Aber was hätten wir dann? Doch immer nur Bewegungen und Gruppierungen von Atomen. Was wir aber bei alledem nicht begreifen würden, das ist, wie ein Bewulstsein ent- steht, und wie auch nur die einfachste geistige Er- scheinung zustandekommt. „Die astronomische Kenntnis des Gehirns, die höchste, die wir davon erlangen können, enthüllt uns darin nichts als bewegte Materie. Durch keine zu ersinnende Anordnung oder Bewegung materieller Teilchen aber läfst sich eine Brücke ins Reich des Bewulstseins schlagen.“

Indessen, was keiner mechanischen Theorie gelingt, läfst sich das nicht vielleicht doch von einer energetischen erhoffen?

Einen solehen Versuch, die psyehischen Erscheinungen dem Energiebegriff ebenso unterzuordnen wie die physiko- chemischen, hat OsTwALD unternommen, und er selbst glaubt, wie er im Vorwort zu seinen „Vorlesungen“!) bemerkt, „vorläufig noch an die Durehführbarkeit des Begriffes der psyehischen Energie‘; auch glaubt er „einige Fehler ver- mieden zu haben, welehe die früheren Versuche scheitern liefsen“. „Die einfache und natürliche Aufhebung der alten Schwierigkeiten“, so erklärt er weiter, „welche der Ver- einigung der Begriffe Materie und Geist sich entgegenstellen, durch die Unterordnung beider unter den Begriff der Energie erscheint mir als ein so grolser Gewinn, dafs, selbst wenn der hier vorgelegte Versuch sich als undurehführbar erweisen sollte, die künftige Entwicklung der Philosophie zweifellos neue Versuche in gleicher Riehtung enthalten wird. Ob dies mit dem gegenwärtigen Energiebegriff befriedigend gelingen wird, oder ob dieser einer weiteren Entwieklung zu solehem Zwecke bedarf, ist jetzt noch nieht zu ent- scheiden; genug, dafs hier wirklich eine Möglichkeit sich auftut, den klaffenden Rifs auszufüllen, der seit DESCARTES

Le Zeitschrift f. Naturwiss. Bd.78. 1905—06, 7

.

98 H. Kersten, [11]

zwischen Geist und Materie gähnt, und in den seitdem so viele Denker hineingefallen sind.“

Wie verhalten sich aber nun die geistigen Erscheinungen zur Energie? Steilen die psychischen und die energetischen Erscheinungen vielleicht zwei verschiedene Seiten desselben Seins oder Geschehens dar, so dafs einem jeden energetischen Vorgange ein psychischer entspricht und umgekehrt? Ost- WALD erklärt sich gegen die Annahme eines solehen „psycho- energetischen Parallelismus“ und meint, „dafs es sich bei den geistigen Vorgängen um die Entstehung und Umwandlung einer besonderen Energieart handelt“, die er vorläufig „geistige Energie“ nennen will. Dieselbe fällt in gewisser Hinsicht mit der „Nervenenergie“ zusammen, worunter er „die in dem gesamten nervösen Apparate tätige Energieform“ versteht.

Was speziell das Bewulstsein angeht, so möchte OsST- wALD dasselbe „als eine Eigenschaft einer besonderen Art der Nervenenergie* auffassen, „nämlich der, welche im Zentralorgan betätigt wird.“ Die Verbindung zwischen Bewulstsein und Nervenenergie scheint ihm als „so eng wie möglich“ gedacht werden zu müssen, und er ist geneigt, „das Bewulstsein ebenso als ein wesentliches Kennzeichen der Nervenenergie des Zentralorgans anzunehmen, wie etwa die räumliche Beschaffenheit ein wesentliches Kennzeichen der mechanischen Energie und die zeitliche eines der Be- wegungsenergie ist.“

Das Haupthindernis, das sich der Erklärung des Ver- hältnisses der körperlichen und der geistigen Erscheinungen bisher entgegengestellt hat, liegt nach OstwALp in dem „mechanistischen Materialismus“: Wenn die Welt nur aus bewegter Materie besteht, so führt von hier aus freilich keine Brücke hinüber in das Bereich des Geistigen. ÖsT- WALD erinnert daran, wie schon Leısnız diese Sachlage klar eingesehen und in unserer Zeit Du Bois REYMonND sie „deutlich beleuchtet“ habe. Er seinerseits glaubt nun dieses Haupthindernis aus dem Wege geräumt zu haben, indem er nieht mehr den Begriff der Materie als primären gelten läfst, sondern den der Energie; die Materie wird „in einen räumlich zusammengeordneten Komplex gewisser Energieen“

12] Der Streit um den Naturbegriff. 99

aufgelöst. „Ich weils“, so erklärt er, „keinen überzeugen- deren Beweis für den philosophischen Wert der energetischen Weltanschauung, als den hier zu Tage tretenden Umstand, dafs dieses alte Problem!) in ihrem Lichte alle seine Sehreeken verliert. Denn die Schwierigkeit rührt ja nur daher, dafs Leısnız wie Du Boıs ReymonD mit DESCARTES für die physische Welt die Annahme machen, sie bestehe aus nichts als bewegter Materie. In einer solchen Welt kann freilich der Gedanke keine Stelle haben. Wir, die wir die Energie als letzte Realität ansehen, empfinden von solehen Unmöglichkeiten nichts.“ Es ist für OstwAup durehaus nichts Absurdes in der Annahme zu entdecken, dafs bestimmte Energiearten Bewulstsein bedingen, und es macht ihm nieht mehr Schwierigkeiten, zu denken, „dals kinetische Energie Bewegung bedingt, wie dafs Energie des zentralen Nervensystems Bewulstsein bedingt.“

Wir werden nun, um ein Urteil über diesen Standpunkt OSTWALDS zu gewinnen, nicht umhin können, soweit nötig noch auf die allgemeineren energetischen Vorstellungen ein- zugehen, wie er sie in seinen „Vorlesungen“ entwickelt hat.

„Energie“ wird von OstwaAup definiert als „Arbeit oder alles was aus Arbeit entsteht und sich in Arbeit umwandeln läfst“. „Arbeit“ aber ist „Bewegungs- wirkung“, d.h. Wirkung der Bewegung eines Körpers durch eine bestimmte Strecke gegen einen vorhandenen Widerstand. Die verschiedenen Energiearten nun lassen sich mathematisch betrachtet als Produkte aus zwei Faktoren auffassen, dem Intensitäts- und dem Kapazitätsfaktor. Die Distanzenergie z. B., eine mechanische Energieart, die auch als „mechanische Arbeit“ bezeichnet wird, ist gleich dem Produkt Kraft (Ge- wieht) >< Weg; eine andere mechanische Energieart, die Volumenergie, ist gleich dem Produkt Druck >< Volumen; die elektrische Energie ist gleich dem Produkt Elek- trische Spannung > Elektrizitätsmenge; die Wärmeenergie ist gleich dem Produkt Temperatur >< Entropie. Die Inten- sitäten sind „Stärken“, die Kapazitäten „Gröfsen“. Während die ersteren bestimmend für das Geschehen sind, kommt den letzteren „ein wesentlicher Anteil an der Bildung der

1) Nämlich des Verhältnisses des Körperlichen und des Geistigen.

T7F

100 H. KERSTEN, [13]

Zusammenhänge zu, welche wir als Materie bezeichnen“. Die Kapazitäten (von dem Kapazitätsfaktor der Wärme, der sog. Entropie, gilt dies nur bedingt) unterliegen für sich auch einem Erhaltungsgesetz: In einem abgeschlossenen Systeme können gegenseitige Energieumwandlungen stattfinden, ohne _ dals dabei die Kapazitäten der vorhandenen Energieen eine Änderung erfahren; jene Veränderungen der Energieen kommen in den Intensitätsfaktoren allein zustande; eine Änderung einer Kapazitätsgröfse aber ist nur dureh Zu- oder Abführung der Energie möglich. Dieses Erhaltungsgesetz der Kapazitäten ist in dem allgemeinen Gesetz von der Er- haltung der Energie, „dals bei allen Umwandlungen die Gesamtmenge der vorhandenen Energieen unverändert bleibt“, noch nieht mit eingeschlossen. Wie aber vereinbart sich dasselbe mit den Voraussetzungen der Energetik? Drängt sich da nieht direkt der Gedanke auf, dafs jene Kapazitäten in ihrer Gesamtheit nichts anderes repräsentieren als einen substantiellen Träger der Energie, und dafs die letztere nur ein Zustand dieses Trägers ist oder ein Geschehen an demselben? Die Intensitätsfaktoren würden dann die be- treffende Stärke dieses Zustandes oder Geschehens bei den einzelnen Energiearten bezeichnen, die Kapazitätsfaktoren aber die in jedem Falle beteiligte Gröfse oder Menge jenes Substrates. Was ist aber der Träger der Energie im Grunde anders als die Materie? Der „primäre“ Begriff der Materie also, den Ostwann als solchen aus der Energetik eliminieren wollte, dringt hier unvermeidlich wieder herein.

Liegt aber die Sache so, dals es die Materie ist, an der sich die energetischen Prozesse abspielen, so erscheint damit natürlich auch der Begriff der psychischen Energie hinfällig. Denn man vermag sich eben auf keine Weise vorzustellen, wie aus materiellen Vorgängen, und das sind dann doch die energetischen Prozesse, eine „geistige“ Energie als ein immaterielles Geschehen resultieren könnte.

Also auch dann, wenn wir uns die Welt rein ener- getisch ausdenken, sehen wir keine Brücke vom Physischen zum Psychischen hinüberführen.

Was folgt nun aus alledem? Doch wohl soviel, dafs man vom naturwissenschaftlichen Standpunkte aus, wenn

[14] Der Streit um den Naturbegriff. 101

man nicht geradezu Unbeweisbares behaupten will, eine Identität der geistigen Erscheinungen mit irgendwelchen körperlichen, resp. einen genetischen Zusammenhang zwischen ihnen, nicht bebaupten kann. Es bleibt demnach nichts übrig, als die eigenartige Realität der ersteren anzuerkennen und sie als Erscheinungen sui generis gelten zu lassen.

Dieser Einsicht hat sich in der Tat auch ein Teil der Naturforscher nicht verschlossen. Wir denken da zunächst an HÄcke, der ja oft genug, zumal in populären Aufsätzen, Besprechungen u. dergl., auch von Leuten, die es besser wissen sollten, einfach zum Materialisten, und, sogar zum krassen, sestempelt wird. Er selbst all sieh hiergegen in seinen „Welträtseln“, wo er am Schlusse des 1. Kapitels auf die häufige Verwechselung der Begriffe Monismus und Materialismus hinweist und seinen eigenen monistischen Standpunkt kurz präzisiert. Er erklärt da ausdrücklich, dafs sein „reiner Monismus“ weder mit dem theoretischen Materialismus identisch sei, „welcher den Geist leugnet und die Welt in eine Summe von toten Atomen auf- löst“, noch mit dem theoretischen Spiritualismus, „welcher die Materie leugnet und die Welt nur als eine räumlich geordnete Gruppe von Energieen oder immateriellen Natur- kräften betrachtet“. Vielmehr hält er sich mit GoETHE über- zeugt, „dafs die Materie nie ohne Geist, der Geist nie ohne Materie existiert und wirksam sein kann“. Er schliefst dann: „Wir halten fest an dem reinen und unzweideutigen Monismus von SpınozA: Die Materie, als die unendlich ausgedehnte Substanz, und der-Geist (oder die Energie), als die empfindende oder denkende Substanz, sind die beiden fundamentalen Attribute oder Grundeigenschaften des all- umfassenden göttlichen Weltwesens, der universalen Sub- stanz“.

Uns interessiert hier nun zweierlei: erstens, dafs HÄckEL Geist!) und Materie als zwei Realitäten unterscheidet;

1) Wenn Häckel wiederholt von „Geist oder Energie‘ spricht und so beide anscheinend gleichsetzt, so gebraucht er allerdings das Wort „Energie“ noch in einem anderen Sinne als die moderne Physik. Es spielt hier bei ihm noch der Kraftbegriff mit hinein, wie er denn auch von Energieen als „immateriellen Naturkräften“ redet. Trotz dieser

102 H. Kersten, [15]

zweitens, dafs er beide als untrennbar verbunden ansieht. Und zwar hält er dafür, „dafs auch schon den Atomen die einfachste Form der Empfindung (Fühlung, Aesthesis) und des Willens (Strebung, Tropesis) innewohnt, also eine uni- versale „Seele“ von primitivster Art“. (— „Noch ohne Be- wulstsein!* wie er hinzufügt.)

Dabei erklärt er sich energisch gegen den psycho- physischen Parallelismus und bekämpft Wunpr als den Hauptvertreter desselben. Man sollte freilich meinen, dafs HÄCKEL, wenn er sich so entschieden zum Spinozismus be- kennt, mit dem letzteren auch die demselben eigentümliche Idee eines universellen Parallelismus der geistigen und der körperlichen Erscheinungen aufgenommen hätte. Zwar ist ja diese metaphysische Hypothese, wonach jedem materi- ellen Geschehen ein geistiges entspricht und umgekehrt, durchaus nicht gleichbedeutend mit dem psychologischen Prinzip des psychophysischen Parallelismus; aber wer sie acceptiert, der müfste doch in Konsequenz dessen auch das letztere Prinzip gelten lassen, wiewohl nicht umgekehrt. Statt dessen scheint sich HÄckEL nach all seinen Aus- führungen zwischen den geistigen und den körperlichen Vorgängen einen Kausalzusammenhang in der Art zu denken, dafs durchweg die physiko-chemischen Prozesse durch psychische Kräfte oder Eigenschaften mit verursacht werden und wieder die psychischen Vorgänge durch physische Kräfte.) Wir müssen uns jedoch hier mit diesen kurzen Andeutungen begnügen. |

HÄckeL glaubt also den Dualismus von. Geist und Materie überwunden zu haben durch seine monistische Lehre, nach welcher die geistigen und die körperlichen Qualitäten in einer universalen Substanz untrennbar verknüpft sind. Es gibt nieht zwei getrennte Gebiete des Geistigen und des

nicht klaren Auffassung des Energiebegriffes und seiner unzulässigen Übertragung auf das Geistige hält aber doch Häckel überhaupt an der Existenz eines Geistigen und seinem Unterschiede vom Körperlichen fest.

1) Vgl. z.B. die Abschnitte über „Die Wahlverwandtschaft der Elemente“ und „Die Einheit der Naturkräfte“ im 12. Kap. der „Welt- rätsel“,

[16] Der Streit um den Naturbegriff. 103

Körperlichen, sondern beide fallen zusammen und bilden in ihrer Einheit die Natur oder den Kosmos. Und die voll- ständige Gleichung lautet sogar: Welt = Natur = Substanz Kosmos Universum Gott!

Nun ist allerdings die Frage, ob dieser Monismus oder Pantheismus oder vielleicht richtiger Hylozoismus!) wirklich den „reinen“ Monismus darstellt, als welehen ihn anzupreisen HÄckeEL nicht müde wird, oder ob nieht auch HäÄcker selbst in dem so heftig bekämpften Dualismus stecken bleibt. Denn die zwei Grundeigenschaften oder fundamentalen Attribute der Universalsubstanz, das Körperliche und das Geistige, bestehen hier doch eben als zwei heterogene Eigenschaften nebeneinander fort, obne dafs die eine auf die andere zurückgeführt oder aus ihr abgeleitet wird, wie man das wohl von einem wahren Monismus erwarten sollte. Es mag dabei ganz dahingestellt sein, ob in dieser oder einer anderen Form ein Monismus überhaupt möglich ist.

Man kann also HÄckEL immer entgegenhalten, dafs es doch zwei ganz disparate Begriffe bleiben, Geist und Materie, die er in seinem naturphilosophischen System zur Einheit des Naturbegriffes verschmelzen will. Und dann sind Geist und Materie nicht blofs ungleichartige Elemente, es lälst sich empirisch auch kein Kausalzusammenhang zwischen beiden behaupten.

Dasselbe läfst sich nun mutatis mutandis auch den anderen Nafurforschern gegenüber einwenden, die unter Anerkennung der Realität des Geistigen dieses mit zur Natur rechnen. So der Botaniker -REınkE, der durch sein Buch „Die Welt als Tat“ auch weiteren Kreisen bekannt geworden ist, und der in dieser und anderen Schriften, besonders in seiner „Einleitung in die theoretische Biologie“ (Berlin 1901), sich als Vertreter des Neovitalismus und der teleologischen Naturanschauung zeigt. Für REIınkE besteht ein fundamentaler Unterschied zwischen den „psychischen Qualitäten“ des Organismus, „deren Dasein niemand leugnen kann“, und den materiellen oder energetischen. Aber trotz dieses Unterschiedes erklärt er doch: „Die psychischen Er-

t) Sofern es sich wesentlich um eine „Beseelung der Materie“ handelt.

104 H. KERSTEN, [117]

scheinungen gehören auch zur Natur, sie stehen derselben nieht als etwas völlig Heterogenes gegenüber. Sie sind abhängig von der Ernährung, der Fortpflanzung, der Ent- wicklung des Organismus“.!) Konsequenterweise hat sich dann auch die Naturwissenschaft mit den geistigen Fr- scheinungen und deren Beziehungen zu den körperlichen zu befassen. Dies meint schon HäÄckeL, wenn er die Psychologie „als einen Zweig der Naturwissenschaft und zwar der Physiologie“ betrachtet, und dies meint ganz aus- drücklich auch REINkE. Nach ihm ist „die psychische . Seite des Menschen- und Tierlebens nicht ausschliefsliches Gebiet der Philosophie“, sondern auch der Biologe soll „das Recht und die Pflicht“ haben, sich um diese Seite der Lebenserscheinungen zu kümmern. So zählt er denn unter den Grundproblemen der theoretischen Biologie auch das „psychische Problem“ mit auf, welches „in erster Linie die Beziehung zwischen Leib und Seele* betrifft. Diese Beziehung soll aber nur in einem psychophysischen Kausal- nexus bestehen können. Und wie stellt er sich letzteren vor? Er aeceptiert die zweite der beiden von dem Psycho- logen Srumpr aufgestellten und auch von uns oben be- sprochenen Möglichkeiten. Er glaubt, dafs dieser zweite Weg zu seiner Dominantenlehre hinführe, weil diese zu zeigen versuche, wie eine Kraft innerhalb eines materiellen Systems zur Wirkung kommen könne, ohne an diesem mechanische Arbeit zu leisten, also ohne Energieverbrauch- Dabei sollen die Dominanten, die er als „niedere psychische Qualitäten“ bezeichnet, und die Energieen gegenseitig kausal aufeinander einzuwirken vermögen. Wie sie das freilich bei der Geschlossenheit der Naturkausalität anfangen werden, das verrät uns REINkE ebensowenig, als uns STUMPF die behauptete kausale Wechselwirkung zwischen Geistigem und Körperlichem plausibel macht.

Es ist bei REINKES Standpunkt nieht anders zu erwarten, als dafs er zugleich gegen die Paralleltheorie eifert. Wohin führt der Parallelismus? „Auf einen klaffenden Rils, der

1) Dals sie für Reinke doch nicht „etwas völlig Heterogenes“

sind, beruht also darauf, dafs sie in der fraglichen Abhängigkeit als „Funktionen des Organismus‘ erscheinen.

[18] Der Streit um den Naturbegriff. 105

durch die ganze belebte Natur gehen würde, wenn in den Wechselbeziehungen zwischen Leib und Seele die Kausalität aufhören sollte“. „Aber“, so erklärt er weiter, „weil meiner Ansicht nach diese Konsequenz unrichtig ist, darum muls auch die Lehre vom Parallelismus falsch sein. Das Kausal- gesetz besitzt allgemeine Gültigkeit durch die ganze Natur.“

Freilich, wenn man sich von vornherein auf den Stand- punkt stellt, dafs die geistigen Erscheinungen mit zur Natur gehören, dals sie mit den körperlichen durch kausale Wechselbeziehungen verbunden sind, so scheint dann die Paralleltheorie den besagten „klaffenden Rifs“ in die Natur hineinzubringen und darum auch falsch zu sein. Aber es fragt sich eben zuerst, ob die geistigen Erscheinungen mit zur Natur zu rechnen sind, ob sie mit den körperlichen so in kausaler Weise verknüpft zu denken sind wie die letzteren unter einander.

Also immer wieder die Streitfrage: „Kausalnexus oder Parallelismus?* Wir sehen diese Frage ihrer prinzipiellen Bedeutung gemäfs wie von Philosophen, so von Natur- forschern diskutiert. Von ihrer Beantwortung hängt wesent- lieh die wissenschaftliehe Bestimmung des Naturbegriffes ab. Der Gegensatz der hier hervortretenden Anschauungen aber läfst sich kurz so formulieren:

1. Geistiges und Körperliches sind zwar grundver- schiedene Dinge, aber sie wirken doch kausal auf einander ein; daher läfst sich auch das Geistige mit zur Natur rechnen.

2. Geistiges und Körperliehes sind grundverschiedene Dinge, die nicht kausal auf einander-einwirken, nur ein be- stimmter Parallelismus zwischen gewissen geistigen und körperlichen Erscheinungen lälst sich erfahrungsmälsig be- haupten; daher ist es nicht berechtigt, das Geistige mit zur Natur zu rechnen.

Wir haben ja nun oben bereits kurz gehört, welche Gründe sich gegen die Wechselwirkungstheorie und für die Paralleltheorie ins Feld führen lassen: sie ergeben sich aus der Anwendung des ganz bestimmten Kausalbegriffes, wie er sich in der modernen Naturwissenschaft herausgebildet hat, und aus dem induktiv gewonnenen Satze von der Ge- schlossenheit der Naturkausalität. |

106 H. Künsten, [19]

In der Tat hat sich die moderne Naturwissenschatft, wie sie sieh seit KArtesıus entwickelt hat, gänzlich gewöhnt, in den Naturobjekten nur körperliche Objekte, in den Natur- kräften nur physische Kräfte und in den Naturvorgängen nur äulsere Vorgänge, die auf Wirkungen solcher Kräfte zwischen materiellen Elementen beruhen, zu erblieken, von allen etwaigen „inneren“, seelischen oder geistigen Zuständen der Objekte aber völlig abzusehen. Und nach dem in der Naturwissenschaft zu allgemeiner Anerkennung gelangten Grundsatz der Geschlossenheit der Naturkausalität liegen, wie Könıe!) sagt, die Bedingungen, von denen die ein- zelnen physischen Erscheinungen abhängen, erfahrungsmälsig „immer wieder in der physischen Sphäre, und ebenso findet jeder einzelne Vorgang in einer Summe rein physischer Wirkungen seine Fortsetzung; die physische Sphäre er- weist sich also de facto als eine in sich geschlossene, und so hat die Naturwissenschaft keinerlei Veranlassung, ihren Blick über dieselbe hinaus auf Niehtphysisches zu lenken und dies mit in den Kreis ihrer Betrachtung zu ziehen.*

Trotzdem sehen wir nun gewisse Vertreter der Natur- wissenschaft allerdings den Blick über das Physische hinaus auf das Geistige richten und dies mit in den Kreis ihrer Betrachtung ziehen?). Indessen, man darf nicht übersehen, dals es sich hierbei nicht sowohl um naturwissenschaft- liche, jedenfalls nieht rein naturwissenschaftliehe, Re- flexionen handelt, als um naturphilosophische. Der eigent- liche Naturforscher als solcher dagegen, der Astronom wie der Physiker, der Chemiker wie der Mineraloge und der Geologe, der Botaniker wie der Zoologe und der Physiologe, er hält sich doch an die materielle Aufsenwelt, ohne des- wegen natürlich eine geistige Innenwelt an und für sich leugnen zu müssen; aber die letztere liegt nicht in seiner „Interessensphäre“. Sie, die Körperwelt, die Summe und Einheit der körperlichen Dinge und Erscheinungen, ist es, die für ihn als „die Natur“ und als das Objekt seiner Studien in Betracht kommt. Und in diesem Sinne werden

!) Die Lehre vom psychoph. Parallelismus usw. 8. 173.

:) Wie vor allem und in besonderer Weise von den Neovitalisten geschieht.

[20] Der Streit um den Naturbegriff. 107

wir auch die Definition zu verstehen haben, welche der uni- versalste aller Naturforscher von der Natur gegeben hat, A, von HUMBOLDT in seinem „Kosmos“ (Bd. I, 8.6): „Die Natur ist für die denkende Betrachtung Einheit in der Viel- heit, Verbindung des Mannigfaltigen in Form und Mischung, Inbegriff der Naturdinge und Naturkräfte als ein lebendiges Ganze.“

Doch zum Schlusse noch eins. Wer einmal die Realität des Geistigen gelten lälst, der kann damit konsequenterweise nicht vor der Tierwelt Halt machen. Denn man kann doch im Ernste nach unserer heutigen Kenntnis von den seelischen Aufserungen des Tierlebens nicht bei der alten Kartesianischen Automatentheorie stehen bleiben wollen, die nicht blofs in den Pflanzen, sondern ebenso in den Tieren, im absoluten Gegensatz zum Menschen, völlig seelenlose Wesen und reine Maschinen sah. Läfst man nun auch die Pflanzenseele, wie sie von FECHNER und neuerdings wieder von gewissen Bio- logen gefordert wird, als problematisch ganz bei Seite, so bleibt doch die Tierseele. Gibt man aber eine solehe in ihrer Bigenexistenz zu, so zeigt das Tier neben der mate- riellen Seite seines Daseins auch eine psychische. Mit dieser letzteren hat sich dann die Psychologie!) zu befassen, während nach der materiellen Seite das Tier der Natur angehört und nach konsequenter naturwissenschaftlicher Auffassung auch nur als materielles Objekt für den Naturforscher in Be- tracht kommt.

Dafs aber das Tier nieht in toto zur Natur gehören soll, klingt das nicht paradox genug? Denn eine so geläufige Vorstellung es ist, in dem Menschen ein Doppelwesen zu sehen, zu einem Teil der Körper-, zum andern Teil der Geisteswelt angehörig, eine noeh geläufigere ist es jedenfalls, das Tier gleich der Pflanze und dem Mineral ganz und gar der Körperwelt zuzureehnen und schlechtweg nur als

1) Wie denn in neuerer Zeit tatsächlich auch schon Anfänge zu einer „Tierpsychologie“ gemacht worden sind. Vgl. den trefflichen Auf- satz von Dr. W.Schoenichen, „Über Tier- und Menschenseele“ in Bd. 73 (S. 225) dieser Zeitschrift. Dort ist auch aut weitere einschlägige Literatur verwiesen.

108 H. KERSTEn, Der Streit um den Naturbegriff. [21]

Naturgegenstand zu betrachten. Da erscheint denn irgend eine Verständigung wünschenswert.

Nun liefse sich ja vielleicht die Auskunft treffen, mit Beiseitelassung des wissenschaftlichen Für und Wider ein- fach zu sagen: Wie eng oder wie weit man den Natur- begriff fassen will, das kann doch schliefslich eine Sache der Übereinkunft sein. Also kann man sich dahin einigen, unter dem Namen der Natur die Summe der körperlichen und der geistigen Erscheinungen zu begreifen. Dies um so eher, als Körperliches und Geistiges bei allem Gegensatz jedenfalls das eine gemein haben, dafs sie beide doch Be- standteile der Erfahrung sind, die sie zusammengenommen auch ganz und gar ausmachen. Und ob man das Ganze der Erfahrung als Welt oder als Natur bezeichnen will, das bleibt sieh insofern gleich, als man ebensogut wie von einer Körper- und einer Geisteswelt auch von einem körperlichen und einem geistigen Naturgebiet reden kann. Alles Beseelte also würde auf die Art der Natur zugerechnet. Dann wäre das Tier völlig im Namen und Rahmen der Natur unter- gebracht. Zugleich wäre zwar auch der Mensch ganz in die letztere einrangiert, doch unbeschadet seiner Sonderan- sprüche in Bezug auf seine Doppelstellung als körperliches und als geistiges Wesen. Die materiellen Naturerscheinungen würden nach wie vor eigentliches und einziges Objekt der Naturwissenschaft bleiben können, die geistigen dagegen ein Reservat der Psychologie resp. Philosophie.

„Ein terminologischer Kunstgriff“, wird man sagen, „mit dem die Schwierigkeiten blo/s umgangen werden.“

Nun, jedenfalls ein Verständigungsversuch, bei dem es sich um eine Art von praktischem Ausweg handelt. Und wenn man auf diesem Wege zu einer gewissen Verständigung gelangen kann, warum sollte man ihn verwerfen ?

Kleinere Mitteilungen.

Reste tertiärer Ablagerungen nördlich von Gotha. Die Bahnlinie Gotha-Leinefelde durchsetzt unmittelbar nach Überschreitung der Nesse nördlich von Gotha den Westhang einer kleinen Bodenschwelle, die ihre Hauptausdehnung in der Ostwestriehtung zwischen den Ortschaften Hausen und Westhausen hat. Die Kuppe dieser Schwelle sowie deren Nord- und Ostabdachung sind mit Lehm bedeckt, dagegen treten am Südhang Geröllmassen auf. Im Bahneinschnitt, der sich, wie gesagt, auf der Westseite befindet, sieht man die Gerölle durch Kalkkarbonat zu einem festen Konglomerat verkittet, das hier in dieken Bänken ansteht.

Unmittelbar nun westlich neben der Bahnlinie ist das Liegende des Konglomerates in mehreren Gruben aufge- schlossen, von denen jedoch nur zwei, eine nördliche und eine etwa 100 m weiter südlich gelegene gegenwärtig im Betrieb sind; die anderen sind verfallen und an ihren Böschungen überrast. Schon 0. SPEYER, der diese Gegend vor mehr als 20 Jahren geologisch bearbeitete, kannte diese Aufschlüsse und gibt vun ihnen in den Erläuterungen zu Blatt Gräfen-Tonna folgendes Profil von oben nach unten an:

1—3 Fuls (0,31— 0,94 m) grobes Kieskonglomerat von vor- herrschend einheimischen Gesteinen.

ERS (0,31 m) grober Sand, teils braungelb, teils grau.

RER (1,38 m) Kieskonglomeratbänke.

Du (0,63 m) brauner, loser Kies.

ar (2,82 m) feiner, streifiger Sand über Unterem

Keuper.

110 Kleinere Mitteilungen.

Die Sande sind hier, setzt SPEYER hinzu, aus der Zer- trümmerung von nordischen Gesteinen hervorgegangen und enthalten Bryozoön beigemengt, wie in einer Sandgrube unter- halb des Bahnhofes Ballstädt!) ersichtlich ist.

Gegenwärtig zeigt die Nordgrube folgendes Profil:

Dunkle Humusdeeke 0,50 m Verwitterte Konglomeratbänke 1,— ,„ Feste Konglomeratbänke ; 2— y

Feinsand, hellgelb bis hellbraun, oben mit wenig, unten mit mehr Geröllen aus meist einheimischem daneben aber auch aus nor- dischem Material. 3,90 Der Sand ist bänkchenweise durch Kalkkarbonat ver- kittet; vielfach sind diese Bänkehen nicht durchgehend, sondern bestehen aus einer Reihe neben einander liegender, stalaktitischer Formen. Gröbere Gerölle in Lehm eingekettet 0,60 m Sand mit kleinen Geröllen, nach unten in stark tonhaltigen Sand übergehend (wasser- führend.) 1,— , Das Liegende ist nicht aufgeschlossen. Profil der Südgrube: Dunkle Humusdeeke 0505 Gelbweilser Feinsand 1,— Gerölle aus meist einheimischem, teilweise auch aus nordischem Material, in sandigen Lehm eingebettet 1,50 Konglomeratbank 1l,— , Sand in raschwechselnder Schichtung, teils als Feinsand, teils als Grobsand, teils mit, teils ohne Gerölle. 4,60 Das Liegende ist auch hier nicht aufgeschlossen.

Am interessantesten sind nun die unter dem Konglomerat liegenden Sande. Ihrer Hauptmasse nach bestehen sie aus Quarz, Feldspat, Muschelkalkstückehen und gelbbraunen

1) 3km weiter nördlich. Über die Ballstädter Ablagerung behalte ich mir vor, bald eingehender zu berichten.

Kleinere Mitteilungen. 111

Mergelbröckchen ; häufig finden sich Feuersteinsplitter, sehr spärlich Glimmerblättehen vor. An schweren Mineralien, die mit Bromoform ausgefällt wurden, konnten nachgewiesen werden: Magnetit, Brauneisen, Zirkon, Rutil, wenig Titanit, Disthen, viel Granat, Turmalin, Epidot, grüne Hornblende und Apatit.

Die Zusammensetzung deutet auf die petrographische . Abstammung der Sande von den nordischen Gneilsen und Graniten, die als Geschiebe in der Umgegend noch jetzt stellenweise zu finden sind, von den Feuersteinknollen der Kreide sowie von den einheimischen Gesteinen des Muschel- kalkes und unteren Keupers.

Die Ablagerungszeit des Sandes kann daher frühestens in die II. (Haupt-) Eiszeit fallen, während welcher ja erst die nordischen Gesteine in die Gegend bei Westhausen ge- langten. Die Schmelzwässer des Inlandeises mögen wohl das Material zu unseren Sanden aufgearbeitet und an ihre jetzige Lagerstätte transportiert haben. Einen weiten Trans- portweg hat das Sandmaterial dabei sicherlich nieht zurück- gelest; dafür spricht schon das Vorhandensein von Musehel- kalk- und Keupermergelstückehen, die bekanntlich leicht vollständig verrieben werden. Auch die Feldspatstückehen, besonders die auffallend roten, bei näherer Untersuchung u.d.M. als Mikroklin erkannten, sind kaum abgerollt. Nimmt man dazu noch, dafs auch die Feuersteine nur in Form scharfer Splitter vorkommen, so ist umso merkwürdiger, dafs gerade die die Hauptmasse des Sandes bildenden Quarze fast durchweg vollkommen abgerollt sind.

Diese Erscheinung erklärt sich m. E. am besten mit der Annahme, dafs stark quarzhaltige Sande von den Schmelz- wässern mit aufgearbeitet wurden. Solche Sande kommen ja nun im Kohlenkeuper Thüringens in wechselnder Mächtig- keit vor; sie sind aber meist viel feinkörniger und von dunklerer Färbung wie der Sand von Westhausen. Sie werden daher kaum das gesamte Quarzmaterial für letzteren abgegeben haben.

Einen Fingerzeig zur richtigen Deutung der Herkunft fraglicher Quarzmassen scheinen mir dagegen die in den Westhäuser Sanden, besonders in den liegenden Partien vor-

112 Kleinere Mitteilungen.

kommenden Organismenreste zu geben. Diese bestehen neben zahlreichen Anthozoen- und Bryozoen-Resten, Bruchstückchen von Seeigelstacheln und wenigen Foraminiferen aus einer Anzahl Konchylienfragmenten, die Herr Prof. Dr. BOETTGER die Güte hatte wie folgt zu bestimmen:

Turitella Geinitzi O0. Semp. Gadila sp.

Sureula regularis De Kon. Cardium eingulatum Goldf. j.

Pleurotoma sp. Cardita (Miodon) depressa v. Koen.

Dentalium Kiekxii Nyst. Cardita (Venerieardia) tuber-

eulata v. Mstr. Dentalium seminudum Desh. Leda Deshayesiana Duch.

Cerithien und Pectunculus neben Resten von Land- u. Sülswasserconchylien, wie sie von PoHLıG [diese Zeitschr. 1885 p. 259] in den früheren Aufsehlüssen beobachtet wurden, sind von mir trotz eifrigen Suchens in den gegenwärtigen Kiesgruben nicht aufgefunden worden.

Nach gütiger Mitteilung des genannten Herrn liegt hier eine typische oberoligozäne Konchylienfauna vor, die gleich- alterig ist den Kasseler und Kauffunger Sanden.

Auch mit den Mollusken der Esslebener Ablagerungen, über die E. E. Scumip!) berichtet, und die dieser ebenfalls für oberoligozän anspricht, haben die Westhäuser Sande mehrere Formen gemein.

Der Schlufs ist daher wohl nieht ungerechtfertigt, dafs die Sande von Westhausen, besonders in ihren liegenden Teilen aulser aus oben genannten Bestandteilen aus auf- gearbeitetem Material oberoligozäner, sandiger Ablagerungen bestehen. Damit wäre aber auch am besten die Herkunft der vielen Quarze erklärt, die trotz des kurzen Transport- weges doch ausgezeichnet abgerollt sind. Daraus würde sich aber auch der weitere Schluls ergeben, dafs in der nächsten Umgebung von Westhausen ehedem, jedenfalls noch während der Haupteisperiode Thüringens, marine oberoligozäne Ab- lagerungen zu finden waren, dals also das Oligozänmeer nicht nur in den östlichen Teil unserer Heimat, sondern auch in den westlichen hineinragte. R. Amthor-Gotha.

ı) Zeitschr. d. d. geol. Ges. Jahrg. 1867 p. 502—508.

Kleinere Mitteilungen. 113

Nordkarolinische Bergwälder. Die Bergketten und hügeligen Plateaus des westlichen Nord-Karolina bieten eines der interessantesten Bilder in der an herrlichen Wald- typen so reichen Union. Die Waldungen dieses Landesteiles sind heute wirtschaftlich noch verhältnismälsig wenig wert- voll, da der Transport des Holzes in dem entlegenen Gebirge mit zu grolsen Schwierigkeiten verknüpft ist. Aber land- schaftlich ist diese Gegend so ungemein anziehend, dafs in den letzten fünfzehn Jahren, seit Eisenbahnen gebaut worden sind, der Fremdenbesuch ins Ungemessene anschwillt.

Den meisten Lesern dieser Zeitschrift wird es bekannt sein, dals amerikanische Waldungen sich von denen Deutsch- lands nicht nur dadureh unterscheiden, dafs sie „Urwälder“ sind, d. h. nieht der bewulsten Tätigkeit des Menschen ihren Ursprung verdanken, sondern auch dadurch, dafs nicht einige wenige Baumarten, sondern eine ganz bedeutende Anzahl sie zusammensetzen. In wenigen Gegenden Nordamerikas ist diese Mannigfaltigkeit der Arten so grols, wie in diesem Teile des Appalachischen Berglandes. Aber natürlich ist diese Mannigfaltigkeit nicht regellos. Die grolsen Umrisse der Gesetze, nach denen sie sich gruppieren, sind ziemlich in die Augen fallend und daher wohl bekannt; aber die Einzelheiten und die Ursachen, welche diese Gruppierungen hervorrufen, werden dem Pflanzen-Geographen noch auf lange Zeit hinaus anziehende Aufgaben zur Lösung stellen.

Eine der auffallendsten Gliederungen der Vegetation wird natürlich, wie in allen Gebirgen, durch die Höhenlage hervorgerufen. Die Bergketten erheben sich von einem hügeligen Plateau, das etwa sechshundert Meter über dem Meeresspiegel liegt. Von dieser Höhe bis zu der von etwa neunhundert Metern ist der Wald vorzugsweise aus Eichen gebildet; dann kommt bis zu einer Höhe von etwa sechzehn- hundert Metern die Region der Kastanienwälder, und darüber hinaus die Zone der Fichten und Tannen. Die höchsten Spitzen ragen ohne Baumwuchs in die Lüfte. Mount Mitchell, der höchste Berg, und zugleich der höchste in den Ver- einigten Staaten, östlich von den Felsengebirgen, ist 2045 Meter hoch, und eine ganze Anzahl anderer Kuppen ist nur wenige Meter niedriger.

Zeitschr. £. Naturwiss. Bd. 78. 1905—06. 8

114 Kleinere Mitteilungen.

Wenn man von der Region der Eichen spricht, so heifst das nur, dafs die Eichen, in nieht weniger als neun Arten, nebst einer Menge Hybriden und mehr oder weniger kon- stanten Varietäten, den Hauptbestandteil des Waldes aus- machen. Sie gedeihen besonders auf den troekneren Lagen der Hügel, wo sie sich mit Kiefern, Sauerholz (Oxydendrum arboreum DC.), Kirschen (Prunus serotina Ehrh.), der „Akazie“ (Robinia pseudacacia L.) und vielen anderen, nur einzelnen und verhältnismälsig selten erscheinenden Arten mischen. Unter den Eichen sind die häufigsten die Scharlacheiche - (Quereus coceinea Wangenh.), die Weifseiche (Qu. alba L.) und die Färbereiche (Qu. tinetoria Wangenh.); die anderen sind aber auch keineswegs selten. Von den Kiefern ist die Gelb- kiefer, (Pinus mitis Michx.) bei weitem die vorwiegendste, aber neben ihr erscheint auch die Pechkiefer (P. rigida Mill.), die Virginische (P. virginiana Mill.), an einigen Orten die Pinus pungens Lamb. und an etwas besseren Standorten die Weymouth - Kiefer (P. Strobus L.).

Wie sehen nun diese Wälder aus? Vor allen Dingen bemerkt man sofort, dafs gerade in ihnen die Hauptplage des amerikanischen Waldes, das Feuer, schlimm gewütet hat. Fast alle älteren Bäume zeigen am Fulse die Brandspuren in Gestalt mehr oder weniger grofser Höhlungen und Rinden- verletzungen, die natürlich ausgezeichnete Angriffspunkte für Pilzkrankheiten geben. Viele der jüngeren Stämme stellen sich, bei näherem Zuschauen, als Stockausschläge dar. Denn die Bewohner der Gegend haben sich aus diesen Wäldern seit drei Generationen in der planlosesten Weise ihr Brenn- holz geholt. Es ist ein Glück, dafs beinahe alle in ihnen wachsenden Baumarten die Ausschlagfähigkeit in hohem Malse besitzen. Denn sonst wäre an den meisten Stellen durch das ungeschickt vorgenommene Fällen der Boden schon längst ruiniert worden, indem er, übermälsigem Sonnen- licht ausgesetzt, ausgetroeknet wäre. So aber geben die rasch aufschiefsenden Lohden in wenigen Jahren dem Boden wieder Deckung und schützen gegen solche Gefahr. Zudem ist ein reiches Unterholz vorhanden, das aus einer grolsen Artenzahl besteht; die Sträucher, welche dasselbe bilden, wie z. B. die verschiedenen Azaleen, haben zum Teil wunder-

Kleinere Mitteilungen. 115 volle Blüten, und wenn sie mit den grolsen, leuchtenden Blumen bedeekt sind, ist ihre Sehönheit kaum zu beschreiben. Doch davon mehr weiter unten.

Die Fähigkeit, vom Stock auszuschlagen, gehört sogar eine Seltenheit unter den Koniferen der Gelbkiefer an, wenn auch nur in geringem Grade. Diese Kiefer, mit ihren obengenannten Vettern, breitet sich in dieser Gegend immer mehr aus, und besonders in der Umgebung von Asheville, der gröfsten Stadt dieses Landesteiles, bildet sie bereits ganz ansehnliche Waldungen, und zwar leidet sie auf dem neu- eroberten Gebiet keine Rivalen, sondern behauptet aus- schliefslich das Feld. Die Entstehungsursache dieser jungen Kiefernwälder ist eine eigentümliche.

In Nordkarolina, wie in den meisten Teilen der Süd- staaten, liegt der Landbau sehr im Argen. Die Farmer be- treiben rücksiehtslosesten Raubbau, ziehen Jahr auf Jahr dieselbe Frucht, hier in den Karolinischen Bergen meist Wälsehkorn und wenn niehts mehr wachsen will, wird das ausgesogene Feld einfach sich selber überlassen. Auf diesem ehemaligen Ackerland nun siedeln sich mit Vorliebe die Kiefern an. Einige andere Arten, besonders der Sassafras (Sassafras offieinale Nees), machen ihnen im Anfang den Rang streitig, werden aber bald wieder verdrängt. Im An- fang: stehen die jungen Bäumchen natürlich weit voneinander ab, wachsen breit und sperrig, und würden herzlich schlechtes Bau- oder Nutzholz abgeben. Aber schon vom fünfzehnten bis zwanzigsten Jahre bedecken sie sich jeden Herbst mit einer Unmenge von Samenzapfen; bald sprossen ihre Säm- linge in dichten Scharen um sie herum auf, und dreilsig Jahre nachdem das Feld als Ackerland aufgegeben wurde, ist es ein dichter Bestand von ein- bis fünfzehnjährigen Kiefern die jungen Bäume so schlank und reinstämmig gewachsen, wie die beste Kunst des Försters es nicht besser hätte machen können, mit vereinzelten, sperrigen Stämmen der ersten Generation dazwischen.

Einen viel grofsartigeren Eindruck, als diese Eichen- und Kiefernwälder der Hügelregion machen die Waldungen der höheren Berge. Hier ist die Kastanie (Castanea dentata Sudw.) die zahlreiehste Baumart, die übrigens auch in der

8*+

116 Kleinere Mitteilungen.

Eichenzone nieht ganz fehlt. Sie ist überall zu finden, wo der Standort einigermalsen gut ist nur in sumpfigen Lagen und an ganz trockenen Hängen fehlt sie. Dort treten Ahorne (Acer rubrum L.), Sour Gum (Nyssa sylvatica Marsh), Weymouth-Kiefern (Pinus strobus L.); hier Eichen an deren Stelle. Die Kastanie ist ein prächtiger Baum an hundert Fufs hoeh und oft bis zu sechs Fuls im Durchmesser. Mit ihr wächst, vieler kleinerer und weniger wichtiger Bäume gar nieht zu gedenken, die Roteiche (Qu. rubra L.), Kastanien- eiche (Qu. prinus L.), zwei Arten Hickory (Carya alba Nutt. - und ©. tomentosa Nutt.), die Linde (Tilia americana L.), die Esche (Fraxinus americana L.), die Sülsbirke (Betula lenta L.), mehrere Magnolien (Magnolia acuminata L. und M. Fraseri Walt.) und der Tulpenbaum (Liriodendron tulipifera L.).

Der letztere ist der sehönste und auch ökonomisch wertvollste aller Bäume dieses Waldes. Kerzengerade schielst er zu einer Höhe von hundert Fu[s und mehr auf bei einem Durchmesser bis zu sieben Fuls. Allerdings sind die sehr dieken Stämme meist im unteren Teile hohl. Dabei sind diese alten Bäume bis an den Gipfel hinauf von bei- nahe gleicher Dieke, was um so merkwürdiger ist, weil die jungen Bäume sich durch einen auffallend „abholzigen“ Wuchs auszeichnen.

Der Tulpenbaum wächst beinahe ausschliefslich in ge- schützten, kühlen Talsenkungen, wo der Boden frisch und humusreich ist. Auf dem Bergrücken kommt er nicht fort. Auf diesem gedeihen die Bäume überhaupt nicht gut, haupt- sächlieh wohl des starken Windes wegen, der hier fort- während weht. Dies zeigt sich an dem niedrigen, sperrigen Wuchs, den knorrigen, krummen Stämmen, und der starken Abholzigkeit. Die langen, oft viele Kilometer weit gedehnten Bergrücken-sind charakteristisch für die karolinischen Gebirge, wie überhaupt für das ganze Gebiet der Appalachen, von Pennsylvanien bis Georgia. Zuweilen sind dieselben nur wenige Meter breit, an anderen Stellen dagegen bilden sie kleine Hoehebenen. Auf diesem ist das Waldbild oft ganz ungemein anziehend, allerdings weniger vom Standpunkt des Forstwirtes, als von dem